Ausgabe 01/2012
Lohn, der nicht zum Leben reicht
Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung steigt. Allerdings versuchen viele Arbeitgeber, das Lohnniveau möglichst niedrig zu halten
Raus aus der Arbeitslosigkeit - rein ins Prekariat
Die Bundesagentur für Arbeit meldet positive Zahlen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt weiter, ist eine der Botschaften aus Nürnberg. Vergleicht man den November 2011 mit dem Vorjahr, ist es ein Plus von 2,5 Prozent. Unterteilt man nach Voll- und Teilzeit, zeigt sich, dass das überwiegend einem Zugewinn bei Teilzeitbeschäftigten zu verdanken ist. Hinzu kommt ein Aufschwung in der Leiharbeit. Rund 910.000 Beschäftigte meldet die Bundesagentur hier für Mitte vergangenen Jahres. Und das zeigt, wohin die Reise geht.
Minijob, Mini-Einkommen
Jede/r zwölfte Leiharbeiter/in muss den Verdienst nach Angaben des Statistischen Bundesamts aufstocken. Und die Bundesagentur für Arbeit hat ermittelt, dass die Durchschnittslöhne der Branchen unter dem Durchschnitt anderer Branchen liegen. Zwar wächst die Zahl der Beschäftigten in vielen Branchen, aber diese Jobs reichen immer seltener zum Leben. Dorothea Voss, Leiterin des Referats Zukunft des Sozialstaats/Sozialpolitik der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, hat festgestellt, dass immer mehr Menschen einen Minijob ausüben, weil sie mit ihrer Hauptbeschäftigung nicht mehr genug verdienen (siehe Interview). Und Minijob steht immer häufiger auch für Mini-Einkommen.
Doch das ist nicht der einzige Versuch der Arbeitgeber, Löhne zu drücken. Wird ein Mindestlohn für eine Branche vereinbart, versucht sie, ihn mit allen Mitteln zu umgehen. Beispiel Leiharbeit: Seit ein Mindestlohn gilt, werden immer mehr Beschäftigte über Firmen angefordert, die Werkverträge anbieten. Da zählt nicht mehr die Zeit, die für eine Arbeit benötigt wird, da wird rein nach Stückzahlen abgerechnet (siehe Artikel Seite 10). Da kann nur ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn helfen, wie ihn die Gewerkschaften schon seit Jahren fordern. Aber noch verweigert sich die schwarz-gelbe Bundesregierung diesen Plänen.
Der Computerkonzern IBM zeigt einen ganz anderen Weg, Personalkosten zu sparen. Mehreren Zeitungsberichten zufolge plant der Konzern, Personal abzubauen. Statt fest angestellter Beschäftigter sollen künftig vermehrt Freiberufler weltweit für bestimmte Aufträge angeheuert werden - je nach Auftragslage und Bewährung dieser Mitarbeiter/innen.
Mit den Hartz-Reformen hat die damalige rot-grüne Bundesregierung den Weg geöffnet für mehr prekäre Beschäftigung. Minijobs wurden gefördert, der Druck auf Arbeitslose erhöht, schlechter qualifizierte oder schlechter bezahlte Tätigkeiten anzunehmen.
Nachholbedarf ist da
Im vergangenen Jahr mussten die Arbeitnehmer/innen auch in tarifgebundenen Unternehmen Einbußen hinnehmen. 1,5 Prozent war die durchschnittliche Höhe der Tarifsteigerungen laut dem Statistischen Bundesamt. Das lag vor allem daran, dass die Gewerkschaften sich in den vorhergehenden Krisenjahren auf moderate und langfristige Tarifverträge eingelassen hatten. Die Wirtschaft entwickelte sich hierzulande besser als erwartet, so dass die Gehaltserhöhungen von 2,3 Prozent Preissteigerung mehr als aufgefressen wurden.
Nachholbedarf ist da. Das hat sogar Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erkannt. "In den letzten Jahren haben wir in Deutschland gemeinsam fleißig gearbeitet und Lohnzurückhaltung geübt, damit wir gut aus der Krise kommen", sagte sie in einem Zeitungsinterview. An den mittlerweile guten Gewinnen der deutschen Wirtschaft sollten auch die Beschäftigten teilhaben: "Jetzt müssen die Arbeitnehmer daran beteiligt werden, und sie müssen das Plus auch spüren." Damit machte sie sich für ein Lohnplus oberhalb der Preissteigerungen stark.