Bis in die DNA der Mitarbeit

Work Hard – Play Hard | Ein niedriger Tunnel. Arbeitskollegen kriechen mit verbundenen Augen herum. Wer etwas sagen will, soll erst die Pfeife um den Hals benutzen. Sie finden ihre Aufgabe lustig, pfeifen, reden, lachen und kriechen. Dabei werden sie über Monitore beobachtet und ihr Verhalten wird analysiert. Denn es ist weder ein Spiel noch eine Übung für den Teamgeist – oder gar Freizeit auf Firmenkosten. Wer hier nicht begriffen hat, selbst im Dunkeln Eigeninitiative beweisen zu müssen, zählt nicht zu den „richtigen Menschen“. Und wird in Zeiten von Wirtschaftskrisen und Wachstumsforderungen ruckzuck von der Liste der begehrten Angestellten gestrichen.

Carmen Losmanns Dokumentarfilm zeigt keine Prostituierten in Bangkok oder Fischer am Viktoriasee. In Work Hard – Play Hard sitzen und stehen Frankfurter oder Hamburger Arbeitnehmer/innen vor der Kamera. Statt ihre Körper oder ihre Muskelkraft zu verkaufen, bieten sie als kreative Angestellte oder Dienstleister ihre Gehirne an, wie etwa bei Microsoft. Heutige Arbeitgeber sowie ihre Handlanger, die Berater und das „Human Resources-Personal“ (zu Deutsch: die Zuständigen fürs Humankapital), streben den totalen Zugriff auf die Schaffenskraft der Mitarbeiter an. Unilever machte eine „entspannte“ und daher umso „produktivere“ Arbeitsatmosphäre zur Bedingung, beim Entwurf des neuen Firmensitzes in der HafenCity. So entschieden sich die Architekten für viel Glas, viel Grün, Wandprojektionen von Wildbächen und wohnzimmerartige Arbeitsecken im Firmenatrium. Aber wer wie Kameramann Dirk Lütter genau hinsieht, bemerkt, dass sich auch in diesen verspielten, lockeren Büros ohne Stechkarte die Rücken vor den Monitoren beugen. Und dass die Gesichter des Humankapitals angespannt bleiben, vor Anstrengung oder Sorge um die Zukunft.

Die beklemmendsten Szenen des Films gehören denen, die selbst ins Management streben. Jungakademiker, die sich im verhörähnlichen Gespräch eines Assessment Centers, eines ausgeklügelten Personal-Auswahlverfahrens, verbiegen, ohne das noch zu bemerken. In fast argloser Eifrigkeit werden Phrasen eines realen Orwell‘schen Neusprechs benutzt. Doch „unsere Reise als Team“ im „kulturellen Wandel“ meint das, was eine Weile „Umstrukturierung“ hieß, und nach wie vor Entlassung für die einen und Mehrarbeit für die anderen bedeutet. Eine Human-Resources-Zuständige mit hartem Lächeln will die „Kultur der kontinuierlichen Verbesserung“ durch ihre Coachings sogar „in die DNA jedes Mitarbeiters pflanzen“: Willkommen an den Arbeitsplätzen der versklavten Gehirne. Jutta Vahrson

D 2011 R: CARMEN LOSMANN, K: DIRK LÜTTER, 90 MIN., KINOSTART: 12.4.12


Im Reich der Raubkatzen | Landschaftlich wirken die kenianischen Savannen mit grünen Hügeln und unendlichen Weiten paradiesisch, der Überlebenskampf dort aber ist gnadenlos. Es zerreißt einem das Herz zu erleben, wie die Gepardin Sita vergeblich nach ihren Jungen ruft, von denen zwei die Hyänen erbeutet haben. Oder zu beobachten, wie Löwin Layla ihr Töchterchen ihrer Schwester anvertraut, weil sie dem Rudel nicht mehr folgen kann. Die größte Bedrohung des Lebensraums der prächtigen Raubkatzen, den wachsenden Bevölkerungsdruck, blendet der mit Spezialkameras aufwendig produzierte Film zwar leider aus und verschenkt damit seine politische Chance. Die Nahaufnahmen und Zeitlupen aber faszinieren. Eine spielfilmähnliche Dramaturgie lässt dabei vergessen, dass es sich um eine Doku handelt. Ganz nebenbei lernt man noch dazu. Etwa, dass Löwen auf Teamarbeit angewiesen, und deren Weibchen innerhalb der Familie sehr zärtlich sind. Und dass sogar sie sich vor Krokodilen in Acht nehmen müssen. Kirsten Liese

R: ALASTAIR FOTHERGILL/KEITH SCHOLEY. START: 19. APRIL 2012


Bulb Fiction | Nach diesem Film will man nur noch eins: Zuhause alle Energiesparlampen aus den Fassungen schrauben und entsorgen. Christoph Mayr macht sich in seiner Doku einer großen Verschwörung auf die Spur: Er weist nach, dass das Verbot der Glühbirne nicht nur undemokratisch zustande kam und allein den Interessen der Lichtindustrie diente, sondern auch ökologisch unsinnig ist und uns dazu ein Quecksilber-Entsorgungsproblem beschert. Dazu besucht er Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler, Nachhaltigkeitsexperten und die Klimabeauftragte von Greenpeace, die schließlich zugeben muss, dass auch ihre Organisation, die das Glühbirnen-Verbot unterstützte, vor allem daran „glauben“ wollte, dass die Sparlampe zur Rettung der Welt beitragen würde. Bulb Fiction aber kommt zu einem anderen Schluss: Stimmen die Recherchen von Mayr auch nur annähernd, dann haben wir Umwelt und Gesundheit einen Bärendienst erwiesen. Thomas Winkler

Ö/D 2011, R: CHRISTOPH MAYR, 90 MIN., KINOSTART: 10. MAi


Monsieur Lazhar | Wer fürs Leben lernen will, kann auf dem Schulgelände bleiben. Traumatisierte Menschen gibt es nicht nur in Krisengebieten. Manche von ihnen stehen eines Tages in einer franko-kanadischen Schule wie der aus Algerien geflohene Lehrer. Gerade zur rechten Zeit, denn die Schüler leiden am Selbstmord ihrer Klassenlehrerin. So wird Monsieur Lazhar zum Rettungsring für die verängstigten Kleinen. Denen er dennoch keine Frechheit erlaubt und Balzac zum Diktat benutzt. Die Kinder beginnen den sanften, nicht mehr jungen Mann zu lieben. Rabiate Eltern und die Schulleiterin stören sich an seinen Methoden, seiner Einmischung in die Erziehung. Während die Kleinen und ihr Lehrer sich gegenseitig helfen und heilen, quält man ihn mit Fangfragen zu seinem tragischen Status als Flüchtling. Hauptdarsteller Fellag aus Algier, Romanautor, Komiker und Theatermann, kennt das Leben im Exil aus eigener Erfahrung. Jutta Vahrson

F 2011, R: PHILIPPE FALARDEAU. D: FELLAG, 94 MIN., KINOSTART: 12.4.