Von sich selbst sagt Sybille Friedrich, dass sie brav sei. Ihre Kolleg/innen schätzen an ihr, dass sie nicht nur engagiert ist, sondern auch verständlich erklären und was lostreten kann

Sybille Friedrich, 26 Jahre, verheiratet, ein Kind. Sie lebt in Frankfurt und ist begeisterter Fan der Eintracht Frankfurt. Ihre erste Ausbildung nach der mittleren Schulreife macht sie zur Zahnarzthelferin, später, nach der Geburt ihrer Tochter, dann eine Teilzeitausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation bei der Telekom. Dort kommt sie auch zur Gewerkschaft. 2009 schließt sie ihre Ausbildung ab, zurzeit ist sie noch freigestellte Auszubildendenvertreterin. Im Herbst wird sie nicht mehr für die ver.di- Jugendvertretung kandidieren, der Gewerkschaft aber treu bleiben. Im Frauenvorstand ihres ver.di-Fachbereichs ist sie schon und setzt auf die Quote, nicht nur bei der Telekom.

VON Heide Platen

S-Bahnhof Eschborn-Süd, ein Gewerbegebiet gleich hinter der Stadtgrenze von Frankfurt am Main. Dahin sind etliche große Firmen aus Steuergründen ausgewichen: die Deutsche Bank, Vodafone, und, um die Ecke in der Alfred-Herrhausen-Allee 7, die Deutsche Telekom. Sybille Friedrich kommt mit energischem Schritt über den Hof, rotbraune Lockenmähne, schwarze Lederjacke, ein enger, kurzer Rock, Turnschuhe. Das resolute Äußere täuscht nur im ersten Moment. Sybille Friedrich (26) wirkt eher schüchtern, errötet zuweilen und möchte am allerliebsten gar nicht über sich selber reden: "Ich kann mich schlecht darstellen." Seit 2009 ist die Gewerkschafterin freigestellte Auszubildendenvertreterin bei der Telekom.

Betreuen, das liegt ihr

Eigentlich hatte Sybille Friedrich nach der Mittleren Reife Zahnarzthelferin gelernt, dann kam ihre Tochter auf die Welt. Die junge Frau nutzte den Mutterschaftsurlaub, um sich nach neuen Möglichkeiten umzusehen. Sie entdeckte ein Angebot der Telekom zur Teilzeitausbildung und bewarb sich. Im Frühjahr 2009 hat sie nach zweieinhalb Jahren ihre Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation beendet. Sie arbeitet im Betriebsratsbüro der Telekom und wird dort im Herbst, wenn sie aus Altersgründen aus der Jugendvertretung ausscheidet, eine Stelle als Sekretärin bekommen. So ist sie für die Kolleg/innen dann immer noch da.

"Ich habe früh angefangen, mich für andere einzusetzen", sagt sie jetzt gar nicht schüchtern. Als Klassensprecherin. Schon in ihrer Schulzeit war ihr klar: "Ich wollte immer einen sehr sozialen Beruf." Das liege vielleicht auch an den Eltern, die beide in Pflegeberufen arbeiten. Nun muss sie zwar keine Patienten pflegen, aber auch die Auszubildenden brauchen Betreuung, oft auch nach der Arbeit. Für Hobbys bleibt da wenig Zeit. Sybille Friedrich ist ein begeisterter Fan der Fußballmannschaft von Eintracht Frankfurt, aber die Fankurve muss manchmal genauso auf sie verzichten wie ihre Freundinnen und Freunde.

Im Büro der Auszubildendenvertretung (Telekom AV) im dritten Stock, Zimmer 3.08, erinnert aber auch gar nichts an den gestylten Magenta-Look der Telekom. Hier sieht es aus wie im Gemeinschaftsraum eines Jugendhauses. Die Federn der alten Couch mit der lila Decke quietschen und drücken, die vielen Plakate und Zettel an den Wänden mahnen zu fairem Handel mit der Dritten Welt und warnen vor den Neonazis. Auf dem Schrank stehen alte Sportpokale, an den Wänden hängen Fotos längst verflossener Zeiten. Vieles hat Sybille Friedrich von ihren Vorgänger/innen übernommen und einfach nicht das Herz gehabt, diese Erinnerungen wegzuräumen. Dazwischen hat sie sich bescheiden ein freies Plätzchen eingerichtet, mit persönlichen Fotos. Die Familie, Ehemann und Kind, fand Platz auf dem Mousepad. Auf dem Schreibtisch liegt das Betriebsverfassungsgesetz. Vieles erinnert noch an die Warnstreiks im Frühjahr: ein Plakat "Auszubildende dürfen streiken", der rote Hai, die grünen Fahnen der ver.di-Jugend, die Styroportafeln in der gleichen Farbe. Manche waren auf Vorrat gebastelt und sind noch gar nicht beschriftet.

"Ich bin der Meinung, dass die Telekom immer noch zu viele Zeitarbeitskräfte beschäftigt."

70 Euro mehr haben die Auszubildenden gefordert, vor allem aber die Abschaffung der "Cluster". Was das ist? Das, sagt Sybille Friedrich, sei "ein bisschen kompliziert". Und tut dann das, was auch ihre Kollegen vom Fachbereich 9 im Frankfurter Gewerkschaftshaus an ihr zu schätzen wissen. Sie erklärt nicht nur engagiert, sondern vor allem auch verständlich. Cluster bedeuten eine ungleiche Bezahlung in den verschiedenen Berufssparten, technische Azubis bekamen bisher mehr Geld als kaufmännische.

Das Gedicht, das ein Renner wurde

Und die Eschborner Azubis haben viel für die Durchsetzung ihrer Forderungen getan: ein eigenes Logo mit dem Telekom-T und einem kleinen Gespenst entwickelt, informiert, plakatiert. Den größten Erfolg hatten sie aber mit ihrer Internet-Kampagne. Dafür ist Sybille Friedrich viel gelobt worden. Dabei, sagt sie, sei sie das gar nicht, schon gar nicht alleine, gewesen: "Wir sind hier viele Jugendliche." Dass das Gedicht, das eine Kollegin verfasste, ein Renner wurde, sei eigentlich ein Selbstläufer gewesen, "mit dem wir gar nicht gerechnet hatten. Wir dachten, da machen vielleicht ein paar Leute mit." Aber dann waren es tausende: "Das wurde gepostet und gepostet ohne Ende, überall in allen Landesverbänden haben sich Azubis beteiligt." Es wurden Foren eingerichtet und Flashmobs organisiert. Die Info- und Gewinnspielseiten der Telekom wurden mit den gereimten und massenhaft gemailten 18 Zeilen geradezu überschwemmt. Die letzten beiden richteten sich an den ehemaligen Personalchef: "Eine gleiche Ausbildungsvergütung, so merk' es Dir, Herr Sattelberger, das fordern wir!"

Mit der Wirkung der Warnstreiks, dem Schlichtungsergebnis Anfang Mai und dem Tarifabschluss ist Sybille Friedrich insgesamt zufrieden. Auch die Forderung der Telekom-AVen ist umgesetzt. Die Vergütung der beiden Berufszweige wird innerhalb von zwei Jahren angeglichen. Dennoch, sinniert sie, wäre es "doch gut gewesen", wenn die Azubis Streikerfahrungen hätten machen können: "Die hätten alle so gerne gestreikt." Der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei den bundesweit über 100.000 Beschäftigten sei noch immer hoch, das liege aber vor allem an den älteren Arbeitnehmer/innen: "Das hat sich von der alten Post weitervererbt." Die Jüngeren, auch die rund 10.000 Azubis und Studierenden, müssten motiviert werden und seien nicht mehr so leicht zu gewinnen.

Erst loben, dann tadeln und abwägen

Wie es sich lebt als Arbeitnehmerin bei dem, neben der Deutschen Bahn von Kunden meist beschimpften Unternehmen? "Ich habe mir", sagt Sybille Friedrich, "da ein dickes Fell wachsen lassen". Nach außen verteidigt sie ihre Firma, intern hat sie als Gewerkschafterin jede Menge Kritik. Die verpackt sie freundlich hinter einem Lächeln: "Eigentlich bin ich sehr brav." Erst loben, dann tadeln, abwägen und differenzieren sei besser, als gleich "den Hammer" zu schwingen: Einiges bei der Telekom sei "schon sehr positiv". Sie ist im Frauenvorstand ihres ver.di-Fachbereichs und optimistisch, dass die Telekom die mit der Gewerkschaft vereinbarte Frauenquote bis 2016 erreichen werde. Das Duale Studium ermögliche Lehre und berufsbegleitendes Lernen, sei aber, meint sie, zu sehr auf private Hochschulen als Vertragspartner zentriert. Die hehren Leitlinien des Unternehmens kennen alle Auszubildenden: "Die werden hier von Anfang an hoch und runter gebetet." Vieles davon aber werde im Alltag "nicht wirklich gelebt. Eigentlich wie in jeder Firma".

"Es hat doch Gründe, wenn jemand nicht immer seine Höchstleistung erbringen kann."

Die Ausbildung, - Firmencredo "Der ideale Azubi ist ein Rohdiamant" - sei meist gut, die Qualität hänge aber zu sehr von Standort und Einzelpersonen ab. Viele Ausbilder/innen seien überlastet, weil sie zu viele junge Menschen zu betreuen hätten: "Die versuchen ihr Bestes, aber der Druck ist zu hoch." Bisher habe es mit der 2007 mit ver.di ausgehandelten Übernahmevereinbarung für die Azubis mittels interner Ausschreibungen auch "recht gut" geklappt. 2012 aber sehe es, vor allem wegen finanzieller Schwierigkeiten des Konzerns aufgrund von Managementfehlern, schon nicht mehr "so rosig aus". Mit den Konzernproblemen seien auch die Angst um den Arbeitsplatz und der Konkurrenzdruck erneut gestiegen: "Da leiden dann wieder die Mitarbeiter am meisten. Sie werden für die Fehlentscheidungen in Haftung genommen." Und: "Ich bin der Meinung, dass die Telekom immer noch zu viele Zeitarbeitskräfte beschäftigt."

Sie hat ihren eigenen Kodex, dem sie gerecht werden will: "Ich muss ja auch mit dem Herzen denken." Sie wünsche sich, "dass man wieder mehr auf die Menschen guckt und nicht so sehr auf die Absatzzahlen". Es habe doch Gründe, "wenn jemand nicht immer seine Höchstleistung erbringen kann".

"Ich bin der Meinung, dass die Telekom immer noch zu viele Zeitarbeitskräfte beschäftigt."

"Es hat doch Gründe, wenn jemand nicht immer seine Höchstleistung erbringen kann."