Ausgabe 07/2012
Radfahren mit NSU
Reihenweise verlieren Verfassungsschutzchefs die Köpfe und treten zurück, weil die von ihnen becheften Behörden die NSU-Verstecke kannten. Ich muss zugeben, dass ich auch ein NSU-Versteck kenne: die Garage meiner Eltern. Dort steht es, funkelnagelalt und funk- tionstüchtig wie neu. Aber es tut keinem etwas zuleide. Es will ja nur spielen. Und spielend, als wär's ein junges, rollt dieses Fahrrad aus den 50ern auf seinen Rädern über die Dorfstraße, wenn ich es auf Besuchen in meinem unterfränkischen Herkunfts- und Heimatdorf aus dem Versteck hole. Die Räder sind gleich groß. Das war nicht immer so. Früher, zu Bismarcks Zeiten, gab es ein NSU mit einem sehr großen und einem sehr kleinen Rad. Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass man vorgestern mit so etwas fahren konnte. Das Modell hieß Germania.
Ausgerechnet. Man könnte es wirklich als deutsches Symbol ansehen. Ein sehr großes Rad mit einem sehr kleinen. Das NSU in der Garage meiner Eltern wurde in der Nähe von Heilbronn gebaut, wo der Neckar und die Sulm zusammenfließen, in Neckarsulm eben.
Später kam zu den Motorrädern und Fahrrädern der Prinz. Das war ein Kabinenroller, der zum Auto heranwuchs, oder zu einem Autochen, zu einer Art Westtrabant des Wirtschaftswunders. Irgendwann wurde NSU mit Audi verschmolzen und Audi von VW übernommen und VW von Porsche. Aber das mit Porsche und VW hat ja nicht geklappt und ist überhaupt eine andere Geschichte. Ich wünschte nur, in der Garage meiner Eltern wäre kein NSU versteckt, sondern ein Porsche. Mit dem könnte ich künftig zur Buchmesse nach Frankfurt fahren, etwa 40 Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt. Und wenn ich statt mit dem NSU durchs Dorf mit dem Porsche nach Frankfurt fahren würde, bräuchten mich die Leute im Dorf und die Leser in Frankfurt nicht mehr so gewerkschaftlich mitfühlend zu fragen, ob man von "sowas" leben könne, also vom Schreiben.
Bruno Preisendörfer, F oto: Andreas Herzau