Johann Rösch ist bei ver.di Experte für den Textil- einzelhandel

Am 12. September verbrannten in Karatschi über 300 Menschen in einer Fabrik, die für den Textildiscounter Kik produzierte. Am 24. November verbrannten wieder über 100 Menschen in Bangladesch, und es gab Hunderte von Schwerverletzten. Auftraggeber dieser Fabrik war neben anderen C&A. Die Regierung in Bangladesch berichtet, dass allein zwischen 2006 und 2009 in den Textilfabriken 414 Beschäftigte bei Bränden ums Leben gekommen sind. 2010 kosteten zwei Großbrände weiteren 50 Beschäftigten das Leben. Und nach jedem Großbrand mit vielen Todesopfern hören wir von den großen Textileinzelhändlern, dass sie doch alles täten, um die Sicherheitskontrollen zu verbessern.

Zusammen mit Betriebsrätinnen von H&M, Zara und Metro habe ich mir vor einem Jahr die Verhältnisse in Bangladesch selbst angesehen. Ja, die Auftraggeber führen sogenannte Aufklärungskampagnen durch. Es gibt Plakatserien und Gespräche zum Brandschutz. Aber sie taugen allenfalls dazu, die Nachhaltigkeitsberichte zu schönen und die Verbraucher zu beruhigen. Und sie lenken davon ab, dass es die gleichen Textilkonzerne sind, die knallharte Vorgaben diktieren, bis wann die Kollektion gefertigt sein muss und zu welchem Preis. Welch eine Heuchelei! Wer eine Verbesserung der Verhältnisse will, der darf nicht weiterhin im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehen und sklavenähnliche Verhältnisse für die Beschäftigten akzeptieren, sondern muss seine ökonomische Macht als Auftraggeber nutzen, um tatsächlich Veränderungen durchzusetzen.

Ein erster und wichtiger Schritt wäre die Umsetzung eines Brandschutzabkommens, wie es der US-Branchenriese PVH (Tommy Hilfiger, Calvin Klein u.a.) im Frühjahr dieses Jahres als erster Abnehmer gemeinsam mit Gewerkschaften vor Ort und internationalen Nicht-Regierungsorganisationen vereinbart hat. Dabei geht es darum, dass in den Fabriken betriebliche Arbeitsschutzkomitees gebildet werden, dass ein wirksames Kontrollsystem etabliert wird, das unabhängige Kontrolleure vorschreibt. Allerdings wird dieses Brandschutzabkommen nur in Kraft treten, wenn mindestens drei weitere internationale Textilkonzerne diesem Abkommen beitreten. Tchibo hat das im September getan. Skandalös ist, dass die Marktführer Inditex (Zara) und H&M sich trotz Unterstützung des Abkommens seitens Betriebsräten und Beschäftigten bisher weigern.

Ergänzend zu dem Brandschutzabkommen müssen die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten in den Textilfabriken Asiens dringend verbessert werden. Das ist ein wesentliches Ziel des Projekts ExChains, das der ver.di-Fachbereich Handel zusammen mit dem internationalen Netzwerk TIE im September gestartet hat. Von den gesetzlichen Mindestlöhnen können die Menschen nicht leben. Nach Berechnungen, wie wir sie in Bangladesch mit Beschäftigten, der Gewerkschaft NGWF und Fabrikbesitzern vor- genommen haben, würden 50 Euro im Monat mehr für die Näherin zu dem gesetzlichen Mindestlohn von 31 bis 40 Euro das einzelne Produkt wie T-Shirt, Kleid oder Jeans um ganze zwölf Cent verteuern. Ein lächerlicher Betrag für unsere Konsumenten und erst recht für die Textilkonzerne, aber ein riesiger Schritt für die Näherinnen auf dem Weg zu einem Leben in Würde. Nur so könnten die zahllosen, angeblich freiwilligen Überstunden reduziert, könnten die Ausbeutungs- und Elendsbedingungen beendet werden.

Eine weitere Kernforderung des Projekts ExChains ist das Zugangsrecht für Gewerkschaften in den Betrieben. Wie wichtig dies ist, spüren wir bei uns, wenn Arbeitgeber es verwehren. In diesen Ländern hat es eine noch größere Bedeutung. Die Beschäftigten müssen zusammen mit ihrer Gewerkschaft für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen streiten und kämpfen können. Die Textilkonzerne müssen dieses Recht nicht nur in ihre Verhaltenskodizes aufnehmen, sondern es auch durchsetzen. Und es bedarf einer Transparenz und Offenlegung der Zulieferer. Erst wenn die multinationalen Unternehmen, die den Bekleidungsmarkt in den zentralen Konsumländern dominieren, die Liste ihrer Zulieferer offenlegen, wird es Gewerkschaften und Beschäftigten möglich, Arbeitsbedingungen zu untersuchen und öffentlich zu machen.

Die Vorstände des Textileinzelhandels haben nicht, wie sie möglicherweise glauben, nur eine Verantwortung gegenüber Aktionären für Umsatz und Rendite, sondern auch dafür, unter welchen Bedingungen sie ihre schicken Teile produzieren lassen. Und daran werden sie gemessen, und zwar immer stärker.

Ein lächerlicher Betrag für die Textilkonzerne, aber ein riesiger Schritt für die Näherinnen"