Ausgabe 01/2013
„Ich sehe schwarz für die Pflegebranche“
"Ich sehe schwarz für die Pflegebranche"
Mit Interesse habe ich Ihren Bericht über den Pflegenotstand gelesen. Mein Sohn hat bis vor kurzem eine Ausbildung in einer privaten Einrichtung absolviert, und daher kann ich Ihre Aussagen nur bestätigen. Für rund 350 Euro netto (abzüglich Schulgeld) leistete er im Früh-, Spät- und auch Teildienst die gleiche Arbeit wie eine Pflegehilfskraft. Teilweise war er ganz allein auf der Station. Auch für Dienste an den meisten Feiertagen wurde er eingeplant.
Am Beginn seiner Ausbildung bekam er einige Male eine kurze Einweisung in die Grundpflege und wurde dann allein gelassen. Es gab weder Kontrollen noch Tipps für Verbesserungen. Nachfragen der Schule bzgl. der Kontrollen blieben ohne Auswirkungen. Die erste Sichtkontrolle seitens der Schule ist dann komplett schief gelaufen, nachdem er zuvor noch von einer Kollegin (nicht von der Praxisanleiterin) definitiv falsche Anweisungen bekommen hatte. Danach hat man ihn auf die nächste Sichtprüfung verwiesen. Letztendlich wurde ihm dann in der Probezeit gekündigt - für ihn überraschend.
Obwohl mein Sohn sicherlich auch Defizite aufgewiesen hat, bin ich der Meinung, dass die Ausbildung in dieser privaten Einrichtung miserabel war. Ich habe volles Verständnis für den Personalmangel. Aber so haben wir uns diesen Ablauf nicht vorgestellt. Man hat keine Zeit für die Auszubildenden, es herrscht ihnen gegenüber Gleichgültigkeit. Und wenn es dann nicht klappt, wird gekündigt, oder die Auszubildenden geben selbst auf.
Ihre Aussagen im Artikel sind korrekt: Azubis in der Altenpflege werden häufig als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Mein Sohn hat aber die Hoffnung nicht aufgegeben und möchte sich nun in einem Praktikum Praxiserfahrung aneignen. Gleich der erste Anruf bei einer kleinen Einrichtung hatte Erfolg. Selbstverständlich nehme man Praktikanten. Warum wohl? Ich bin mittlerweile skeptisch, ob dies die Zukunft für meinen Sohn ist. Aber er muss seinen Weg selbst gehen und Erfahrungen machen.
Ihr Artikel hat uns bewusst gemacht, dass die "Schuld" nicht nur bei meinem Sohn liegen kann. Ich finde, dass man so den Fachkräftemangel nicht beheben kann. Vielleicht möchte man das auch nicht, sondern wartet auf billige Arbeitskräfte aus Osteuropa oder anderen Ländern, die dann diese Arbeiten übernehmen. Die zukünftige Arbeit der examinierten Fachkräfte soll akademisiert werden. Wunsch der Arbeitgeber ist es, die Zulassung für diese Ausbildung von einer zwölfjährigen Schulbildung abhängig zu machen, was bei den Krankenpflegern ja schon passiert.
Den Rest der Arbeit können dann billige Hilfskräfte für einen niedrigen Stundenlohn tun (der derzeitige Mindestlohn von 8,75 Euro ist auch zu niedrig für diese schwere Arbeit). Auch passt dieser angebliche Fachkräftemangel nicht zu der Tatsache, dass in der Jobbörse der Arbeitsagentur diese Stellen bis zu 90 Prozent von Zeitarbeitsunternehmen angeboten werden. Wenn man so weiter macht, sehe ich schwarz für die Pflegebranche.
Anette G., OLDENBURG