Ausgabe 02/2013
So hat sich Annette das nicht vorgestellt
Wenn die Bevölkerung altert, muss es die Gesellschaft noch lange nicht. Die Ausstellung "Zukunft leben – Die demografische Chance" zum Wissenschaftsjahr 2013 versucht zu zeigen, warum
Wir werden immer weniger. Wir werden immer älter. Na und?! Ein Blick in die Ausstellung
Steht bei Ihnen der Ketchup im Schrank oder im Kühlschrank? In der Ausstellung "Zukunft leben - Die demografische Chance" ist das auf den ersten Blick die überraschendste und am Ende auch die interessanteste Frage. Nun hat diese Frage nach der persönlichen Konservierung von Ketchup zunächst gar nichts mit dem Lebensalter zu tun, wie man vermuten könnte. Weder mögen junge Menschen Ketchup lieber gekühlt, noch Alte ihn zimmertemperiert. Vielmehr steht die Aufbewahrung der roten Soße eher für zwei Gruppen von Menschen, die unterschiedliche Ideen, Kenntnisse und Lösungen für Probleme haben. Versucht man das auf die demografische Entwicklung zu übertragen, heißt das zum Beispiel, die einen wollen Kinder, die anderen nicht. Die einen wollen Deutschland verlassen, die anderen bleiben. Oder die einen möglichst früh in Rente gehen, während die anderen am liebsten bis zum 70. Geburtstag oder gar länger arbeiten wollen.
Gebündeltes Wissen
"Berufstätigen Senioren geht es ziemlich gut", kann man da in einem der sechs begehbaren Kuben an der Wand lesen. "Frührentner werden schneller alt", steht gleich darunter. Aha. Meinen die jetzt den Professor, der auch noch mit 75 forscht? Und den mit zig Bandscheibenvorfällen frühverrenteten Müllwerker? Wenn man die zentrale Ausstellung zum Wissenschaftsjahr 2013 besucht, muss man von solchen Anreißern in die Tiefe von Filmen und Texten gehen. Kuratiert von der Leibniz-Gemeinschaft, haben Sozialwissenschaftler/innen, Städteplaner/innen, Neurobiologen und Altersforscher/innen ihr Wissen gebündelt zusammengetragen und versucht, für Laien anschaulich und verständlich in verschiedene Szenarien zu übersetzen.
Gleich am Eingang zur Ausstellung begrüßen den Gast überwiegend Kinder und junge Menschen. Sie erscheinen auf mehreren Monitoren und erzählen, was sie sich für ihre Zukunft wünschen. Wie diese Zukunft dann aussehen könnte, ist in insgesamt acht Szenarien aufbereitet. In der begehbaren Demografie-Pyramide fühlt man sich ein wenig wie in der Röhre eines Computertomografen. Sie veranschaulicht 100 Jahre Wandel im Bevölkerungswachstum, das sich nach oben und zum Ende hin zuspitzt: Wir werden weniger.
Das ist nichts wirklich Neues. Neu ist aber der konsequente Wille, der demografischen Entwicklung etwas durchgehend Positives abzugewinnen. Wir werden immer weniger. Wir werden immer älter. Na und?! Schließlich leben wir auch immer länger und länger gesünder. Es gibt also keinen Grund für Unternehmen, schon 50- oder 60-Jährige frühzeitig aus dem Arbeitsleben zu drängen. Es gibt auch keinen Grund, Müttern den Wiedereinstieg ins Berufsleben unnötig zu erschweren oder unmöglich zu machen. Und vor Zuwanderern aus anderen Ländern müssen wir uns auch nicht fürchten. Sie nehmen uns keine Arbeit weg. Wir brauchen sie, damit unser Kreislauf aus Arbeit und Leben nicht ins Stottern gerät. Das sind in aller Kürze die Thesen der Ausstellung.
Gestaltbare Zukunft
In dem Kubus, in dem es um die Entwicklung der Geburtenrate und die Familie als Institution geht, wünscht sich Rilind, 8 Jahre, "dass mein Opa noch am Leben wär". In Comics, die dort in Kinderhochstühlen wie in einem Buchregal stehen, sind verschiedenste Lebenswege beschrieben, die von vielen Kindern in Patchwork-Familien übers Einzelkind bis zur Kinderlosigkeit reichen. Ein Video liefert anschaulich die Entwicklung der Geburtenzahlen bis in die Gegenwart. Und diese ist mittlerweile so vielfältig, dass sie hier anhand der Schulzeit, der Arbeitszeit, den Themen Alter, Migration und Wohnen mit unterschiedlichsten, auch interaktiven Medien aufgefächert wird.
Es ist ein bisschen eine ideale Gegenwart und auch eine ideale Zukunft. In Südeuropa haben 50 Prozent der jungen Menschen derzeit keine guten Aussichten auf ein selbstbestimmtes Leben. Es gibt schlicht keine Arbeit für sie. Und Alte, die bis 70 oder länger arbeiten, würden die Situation der Jungen weiter verschärfen. Dennoch: Wir haben es in der Hand, die Zukunft zu gestalten, auch wenn das individuell oft anders kommt als geplant: Das Vorwort zum Katalog der Ausstellung hat Annette Schavan, CDU, noch als Bundesministerin für Bildung und Forschung geschrieben. Bekanntermaßen musste sie inzwischen zurücktreten. So hatte sie sich jedenfalls ihre Zukunft nicht vorgestellt.
Die Ausstellung ist bis zum 7. April im Naturkundemuseum Berlin zu sehen. Anschließend im Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz (19. April bis 2. Juni), Deutschen Hygiene-Museum Dresden (14. Juni bis 21. Juli), Deutschen Bergbau-Museum Bochum (20. September bis 27. Oktober), Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven (15. November 2013 bis 9. Januar 2014), Deutschen Museum München (31. Januar bis 30. März 2014)