Die ver.di-Aktionsgruppe (v.l.n.r.): Detlef Schaafs, Dieter Kaminski, Hans-Theo Dreschmann, Gisela Kaminski, Ursula Broch, Siegfried Dworrak, Bärbel Salzwedel und Albert Lemke. Herbert Hecker und andere aus der Gruppe sind schon vorausgeeilt.

Die ehrenamtliche Krefelder ver.di-Aktionsgruppe erobert die Hauptstadt auf ihre Art. Neugierig, kritisch – und vor allem organisiert

"Ich freu mich schon auf‘ne richtige Berliner Currywurst!" Detlef Schaafs grinst. Der 58-jährige Ex-Servicetechniker organisiert die Ausflüge des Krefelder ver.di-Senioren-Stammtischs, einer monatlichen Gesprächsrunde. Auch im Bezirksseniorenausschuss des Flächenbezirks Linker Niederrhein gehört er zur ehrenamtlichen Aktionsgruppe, die sich um alle Ausflüge und Aktivitäten kümmert, von Betriebsbesichtigungen in der Region bis zu Städtetrips nach Holland oder Frankreich. Doch die Currywurst muss warten. Wo soll's denn hingehen, ins Schloss Charlottenburg? Längs der Spree zum Alex? Shoppen?

Detlef ist entrüstet. "Wir machen keine Kaffeefahrten! Bei unseren Ausflügen wollen wir uns mit kritischen Themen auseinandersetzen." Zu dieser Hauptstadttour wurden sie von der Duisburger Abgeordneten Sevim Dagdelen von den Linken eingeladen. So erkunden die 15 Krefelder ver.dianer zwischen 53 und 78 die Narben deutscher Geschichte vor Ort. Selbst die Raucher sitzen pünktlich um 9 Uhr im Reisebus. Vorbei an den Landesvertretungen zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas, direkt am Tiergarten. Das Infocenter des Holocaust-Mahnmals ist noch geschlossen. Spontan entscheiden sich die Berlintouristen, einem Tipp zu folgen und den Parkplatz gegenüber zu besichtigen. Ein unauffälliges Schild weist darauf hin, dass sich hier, tief unter dem Asphalt, die Ruine des Hitlerbunkers befindet. Ein Fotomotiv ist das nicht. "Ist auch besser so", meint Detlef.

ver.di-Senioren, pflegeleicht

Einige driften jetzt in den Andenken-laden hinter der Gedenkstätte. Monika Lemke, 61, hat Friseurin gelernt und dann 31 Jahre in einem Baumarkt gearbeitet. "Mir ging‘s gut da." Doch vor zehn Jahren hat sie ihre Arbeit verloren und ist in den Vorruhestand gegangen. Mit anderen Gewerkschaftskolleginnen begutachtet sie die Souvenirs. Pünktlich eilen sie zurück zum Bus. "ver.di-Senioren sind pflegeleicht", sagt Detlef. "Da kommt niemand zu spät. Aber ich arbeite auch manchmal Pläne für alle aus. Ich weiß, dass ich an der Ampel warten muss, wie auf unseren Herbert mit seinem Gehstock." Ursula Broch, 73 und 26 Jahre lang Verkäuferin bei Rewe, mischt sich ein: "Dafür haben wir dich ja!" Detlef errötet. "Bin durch unsere Fahrten jetzt fast zum Reiseleiter geworden."

Der Reisebus hält erneut, diesmal vor der Topographie des Terrors, dem Dokumentationszentrum auf dem Gelände des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers. Wer sich der Führung durch den russischen Junghistoriker nicht anschließt, sucht nach den Toiletten. Und entdeckt dabei eine Bibliothek im Untergeschoss, spezialisiert auf Themen wie SS-Verbrechen, Polizei im Nationalsozialismus, Gedenk- und Erinnerungskultur. Nach einer Stunde finden sich alle wieder draußen ein. Die Stimmung der Gruppe ist gedämpft. "Es ist deprimierend. Man muss das verarbeiten!", sagt Jürgen Hilgers, ver.di-Mitglied seit 1965.

Die 53-jährige Bärbel Salzwedel lässt sich die Laune nicht verderben: "Daumen hoch, Detlef. Super bestellt, das Wetter!" In kleinen Grüppchen geht es nun zu Fuß weiter Richtung Mittagessen, vorbei an Trabis mit Leopardenflecken. Renate Büttner nutzt die Gelegenheit, die zentrale Publikation der Gewerkschaftsmitglieder zu loben: "Früher war die ver.di PUBLIK mal sehr trocken. Jetzt lese ich sie richtig gerne! Besonders die Texte über Jobs oder Literatur und über Filme", sagt sie. Sie ist 64, Mitglied bei den Linken und deshalb dabei, und ein bisschen neidisch. "Unsere Dortmunder ver.di-Ortsgruppe ist nicht so aktiv wie die Krefelder. So einen Ausflug könnten wir auch mal machen." Stände mit NVA-Uniformen und falschen Pelzmützen kündigen die Touristenfalle Checkpoint Charly an.

Wo ist mein Mann?

Bei einem politisch korrekten Kaffee um die Ecke im Restaurant der taz holt Detlef aus: "Wir gehören zu den über 5000 ver.di-Senioren im Flächenbezirk Linker Niederrhein. Ein riesiges Gebiet, von Neuss bis Moers, und wir haben lokale Gruppen und Stammtische gebildet, um die weit verstreuten Mitglieder zusammenzubringen. Wir Krefelder treffen uns jeden Monat zum Austauschen und Diskutieren, veranstalten Vorträge und Workshops, zum Beispiel zur Verkehrssicherheit. Zusammen machen wir Betriebsbesichtigungen oder gehen zu Demos. Die Sevim kenne ich von 1.-Mai-Veranstaltungen", erzählt Detlef weiter, "durch den persönlichen Kontakt sind wir zu dieser viertägigen Hauptstadttour gekommen."

Der Reisebus fährt vor. Durchzählen und weiter zum Bundestag. Stau vor dem Magnettor der Sicherheitskontrolle in der Eingangshalle. "Wo ist mein Mann?" ruft Ursula Broch. Da ist Theo Broch, früher beim Tiefbauamt Mönchengladbach, der wegen seines Herzschrittmachers von der anderen Seite kommt. Zur Besichtigung des Plenarsaals geht es im Gänsemarsch schmale Stiegen hinauf. "Training", kommentiert Herbert Hecker, sein Gehstock klackert.

Detlef Schaafs war schon öfter hier. "Das Beste kommt zum Schluss, der Blick von oben!" Diesmal ist die Glaskuppel abgesperrt. Aber die Dachterrasse mit den vier Türmen von 1894, stellvertretend für die vier ehemaligen deutschen Königreiche, begeistert selbst müde Ausflügler. Berlin wird hier oben zur Waldstadt, umgeben von gigantischen Baumkronen. Der Tag mit dem Tourbus der Duisburger Abgeordneten Dagdelen endet hier. Doch die ver.di-Senioren bleiben in Politikstimmung. In den Lift, runter und raus, flott durchs Brandenburger Tor - so flott es geht: "Der Stock ist runtergefallen. Wartet mal auf Herbert!"

Zum Schluss wird geschäkert

Und endlich, endlich ist es soweit. In der betriebsamen Dunkelheit von Berlin-Mitte kann Detlef Schlange stehen für seine Currywurst, am S-Bahnhof Friedrichstraße. Wie gut er alles organisiert hat, wird klar, als schräg gegenüber eine illuminierte Stuckfassade auffällt. Das Politkabarett "Die Distel" wartet mit der Show Blonde Republik Deutschland auf die Aktionsgruppe. Aber selbst in der Pause, am Ende eines langen Tages, wird bei ver.di-Senioren nicht einfach nur ein Bierchen genossen. Der 73-jährige Herbert widmet sich der Mitgliederwerbung, im Gespräch mit einer attraktiven Kabarettbesucherin.

Detlefs Tipps:

  • Den Aufwand planen! "Zum Beispiel einmal am Jahresanfang jedes Mitglied anschreiben mit dem kompletten Jahresprogramm. Die Anmeldungen für einzelne Unternehmungen können zu bestimmten Zeiten per Telefon eingehen."
  • Pro Fahrt nicht mehr als zwei Reisebusse mieten für maximal 100 Mitglieder, "sonst verliert man den Überblick".
  • Reiseleitung: "Klare Aussagen, wenige Infos, nicht verwirren!"
  • Und: "Auf die Kosten für Ausflüge achten, um niemanden von vorneherein auszuschließen!"

Der monatliche Stammtisch der Krefelder ver.di-Senior/innen:Brauerei Wienges, jeden ersten Donnerstag, 17 bis 20 Uhr

Kontakt: Detlef Schaafs internetcafe@verdisenioren.de oder Tel. 0171 / 984 25 84

Alle Ausflüge der Bezirkssenior/innen Linker Niederrhein 2013: http://senioren.verdi-lnr.de/?page_id=730

Die Seniorenseite "Linker Niederrhein": http://senioren.verdi-lnr.de