Ausgabe 03/2013
Gut organisiert gegen Druck
von Birgit Tragsdorf
Gibt dem Chef Paroli: Janetta Schmidt
Wer im Einzelhandel arbeitet, in Schichten, mit Öffnungszeiten bis 22 Uhr und auch noch jeden zweiten Sonnabend und trotzdem ausreichend Zeit für die Familie haben will, muss in Sachen Organisation und Logistik schon mal einen Meisterbrief machen.
Und wenn dann der Marktleiter noch der Überzeugung ist, dass Frauen mit kleinen Kindern nicht im Handel arbeiten sollten, bleiben nur ein ungläubiges Kopfschütteln und jede Menge Stoff für eine Diskussion um gute Arbeit und Familienfreundlichkeit.
In diese Diskussion möchte sie sich einmischen: Janetta Schmidt arbeitet in einem Erfurter real,-Markt, sie ist gelernte Bürokauffrau, die unbedingt aus dem Büro heraus wollte. So entschied sie sich für die Arbeit im Obst- und Gemüsebereich und ist heute froh, dort mehr in Bewegung sein zu können und einen direkten Kontakt zu Menschen zu haben. Sie ist Betriebsrätin, eine von vieren, und alle sind sie ver.di-Mitglied. "Ich kann gar nicht anders, ich muss ab und an unserem Marktleiter Paroli bieten. Es ist ein ständiger Druck: Umsatz, Umsatz. Die Arbeit wird immer mehr, das Warenangebot wird vergrößert und beim Personal wird gespart", beschreibt sie die Situation. Neueinstellungen gibt es für ausscheidende Kolleg/innen nicht, höchstens in den niedrigen Lohngruppen bei den Packern, die dann trotzdem einen Teil der Arbeit der Fachverkäufer übernehmen müssen. An eine Übernahme von Auszubildenden kann sie sich gar nicht mehr erinnern. Auch zu den Öffnungszeiten bis 22 Uhr hat sie eine klare Position: Das muss nicht sein.
Die Belegschaft im real,-Markt ist dreigeteilt: die Fachverkäufer/innen, die Kolleg/innen an den Kassen - sie kommen über Fremdfirmen - und die Packer. Von den Vorgesetzten wird eine Entfremdung der Kollegen untereinander angestrebt, sie sollen untereinander keine Kontakte pflegen. "Es geht nicht jeder einzeln zum Chef, um Konflikte zu lösen. Da setzen wir uns als Betriebsrat schon ein." Nach der Kündigung aller Tarifverträge durch die Arbeitgeber im Einzelhandel diskutieren die Kolleginnen mit ver.di momentan die weiteren Schritte. Janetta Schmidt gehört zur Tarifkommission. Stolz ist sie, dass bisher auch ihre Kolleg/innen von real,- bei Konflikten mit auf der Straße standen.
Familienfreundlichkeit braucht ein Gesetz
Wie sie dabei Familie, Arbeit und ihr Engagement im Betriebsrat und bei ver.di noch unter einen Hut bringt? "Das müssen wir organisieren", sagt sie. "Ohne Plan geht nichts. Je nach Schicht sprechen mein Mann und ich ab, wer die Kinder wegbringt oder holt und andere Wege erledigt."
Die 39-Jährige hat drei Kinder: zwei Töchter - acht und elf Jahre - und einen 18-jährigen Sohn. Alle drei spielen Fußball im Verein. Die Kleinen müssen noch gefahren werden. Und auch der Schulweg ist ein Problem, denn jeder geht in einem anderen Ort zur Schule. Die Familie wohnt in einem Dorf zwischen Erfurt und Gotha. Für Janetta passt der öffentliche Nahverkehr nicht, für den Weg zur Arbeit braucht sie ein Auto. Und wenn die Mädchen mit dem Schulbus fahren, ist der rappelvoll, wenn sie in ihrem Dorf zusteigen. "Ich kann das so nicht zulassen, vor allem, wenn sie wieder mal einen viel zu schweren Ranzen schleppen und dann auch noch im Bus stehen müssen." Nachmittagsbetreuung hat nur die Jüngste bis 16 Uhr. Bei der Spätschicht bis 19 Uhr und der täglichen Arbeitszeit ihres Mannes bis 18 Uhr helfen dann die Großeltern. "Sie spielen bei uns eine große Rolle. Ohne die Hilfe von Oma und Opa ist ein Alltag mit Familie und Vollzeitarbeit nicht zu schaffen", sagt sie.
Kommt dann noch ein Chef dazu, der der festen Überzeugung ist, dass Frauen mit Kindern unter zwölf Jahren nicht im Einzelhandel arbeiten sollten, drängen sich schon Fragen auf. Muss nicht bald eine gesetzliche Regelung her? Und was für ein Frauen- und Familienbild pflegt so mancher Vorgesetzte?
Die meisten Familien mit Kindern brauchen das Einkommen, ihnen hilft selten Teilzeit oder ein Hausfrauendasein. Und Alleinerziehende haben es noch schwerer. Jannetta Schmidt will weiter ein Unruhepunkt bleiben - sie will diese Fragen stellen und vor allem geklärt wissen. Sie arbeitet gern und möchte trotzdem Zeit für ihre Familie haben.
Auch deshalb engagiert sie sich - im Einzelhandel, wo mehr als 70 Prozent der Beschäftigten Frauen sind.