Der Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ löst bei den Bürger/innen Hamburgs unterschiedliche Bewertungen aus. Die einen sagen, dass der geforderte Rückkauf der Energienetze ein zentraler Baustein im Rahmen der notwendigen Energiewende sei. Andere erheben den Einwand, die Initiatoren des Volksentscheides verwendeten nur wohlklingende Argumente, die einem Praxistest jedoch nicht standhalten könnten. Am 22. September 2013 sind alle in Hamburg wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, sich parallel zur Bundestagswahl auch zum Volksentscheid zu positionieren. Die folgenden zwei Statements von ver.dianern orientieren sich an den Fakten – und kommen doch zu unterschiedlichen Empfehlungen.

PRO

Theo Christiansen, Beschäftigter bei der Diakonie + Bildung, Evangelisch-Lutherischer Kirchenkreis Hamburg-Ost:

„Ich bin für die Rekommunalisierung der Energienetze, weil wir die sich jetzt bietende Chance nutzen sollten,

  • einen wichtigen Bereich der Daseinsvorsorge in die Verantwortung der Stadt zurückzuholen,
  • der Stadt zentrale Instrumente für eine Energiewende an die Hand zu geben,
  • die auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist und deshalb ihren Namen verdient,
  • auf die Absicherung eines für die Bürger/innen wichtigen Wirtschaftsbereichs und damit auch der Arbeitsplätze entscheidenden Einfluss zu nehmen und
  • damit frühere strategische Fehler der Politik zu korrigieren.

Man kann den vier großen Energiekonzernen – unten ihnen Vattenfall und E.ON – vieles nachsagen, eines aber gewiss nicht, nämlich dass sie je aus eigenen Stücken für eine Energiewende eingetreten seien. Im Gegenteil: Sie haben gebremst und bremsen immer noch. Energiewende funktioniert nicht, wenn man das Wesentliche belässt und nur an der Oberfläche korrigiert.

Energiewende heißt Strukturwandel – und es ist eine altbekannte Tatsache, dass nur ein gewollter und bewusst geplanter Strukturwandel Arbeitsplätze sichert. Wer an alten Strukturen festhält, gefährdet sie. Die Diskussion über einen Vattenfall-Rückzug aus dem Deutschland-Geschäft zeigt, wie aktuell und konkret das Thema ist. So ist es unverständlich, dass sich der Hamburger Senat im Vorfeld des Konzessionsverfahrens vertraglich an diese beiden Konzerne gebunden hat. Er vergibt damit die Chance, die Verfügung über die Netze zurückzuerhalten und eigene Gestaltungsmöglichkeiten zurückzugewinnen.

Besonders problematisch ist, dass mit diesen Verträgen der gesamte Fernwärmebereich, also die Erzeugung, die Netze und der Vertrieb unwiderruflich an Vattenfall Europe übertragen werden. Vattenfall verdient gerade in diesem Sektor enorm viel Geld – Geld, das die Stadt Hamburg teilweise über Mietkostenzuschüsse subventioniert.Die Stadt Hamburg mit „Hamburg Wasser“ und „Hamburg Energie“, aber auch andere Städte machen es vor: Sie können mit wirtschaftlicher und unternehmerischer Verantwortung gut umgehen, zumal in einem Geschäftsfeld, das wegen seiner besonderen Bedeutung reguliert ist.

Es ist zwar richtig: Mit 100 Prozent übernähme die Stadt das betriebliche Risiko, aber sie übernähme auch die Chancen – und die sind gut und gut kalkulierbar. Zudem übernähme Hamburg anders als oft behauptet nicht nur Rohre und Drähte, sondern funktionierende und wertvolle Betriebe, Tafelsilber eben.


CONTRA

Thies Hansen, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei E.ON-Hanse:

„Betriebsräte stehen in der Regel nicht im Verdacht, der Privatisierung das Wort zu reden. Schließlich ist die der Privatisierung zugrunde liegende Renditeorientierung eine Triebfeder für den Arbeitsplatzabbau. Aus dieser Grundsatzfeststellung allerdings den Umkehrschluss zu ziehen, dass die Rekommunalisierung der Netze im Energiebereich im Interesse der Arbeitnehmer/innen ist, ist völlig unzutreffend. Die Energiewende sowie die staatliche Regulierungspolitik erfordern heute von Betriebsräten differenziertere Fragestellungen und komplexere Antworten.

Die Netzbetreiber müssen bereits jetzt eine jährliche Effizienzverbesserung von 1,5 Prozent aufgrund der staatlichen Regulierungsvorgaben erbringen. Der dadurch schon bestehende Kosteneinsparungsdruck wird durch die Zins- und Tilgungszahlung des Kaufpreises – im Gespräch sind zwei Milliarden Euro – noch weiter verschärft. Dass ein zusätzlicher Kosteneinsparungsdruck auch einen zusätzlichen Arbeitsplatzabbaudruck auslöst, ist leider alltägliche Realität. Erschwerend kommt hinzu, dass die Initiatoren des Volksentscheids Synergien durch den Querverbund zwischen Strom, Gas, Fernwärme und Wasser heben wollen. Im Klartext heißt auch dies Arbeitsplatzabbau. Auch für die Bürger/innen Hamburgs ist durch einen 100-prozentigen Netzrückkauf kein Mehrwert zu erwarten. Die Gaspreise werden dadurch nicht sinken, denn im bundesweiten Vergleich verfügt Hamburg derzeit schon über sehr günstige Gasnetzentgelte.

Auch bei der Versorgungssicherheit ist Hamburg heute schon viermal besser als der Bundesdurchschnitt. Auch die Energiewende würde durch den Netzrückkauf nicht vorangetrieben, denn nicht die Netze produzieren grünen Strom oder Biogas, sondern Windkraft-, Photovoltaik- oder Biogasanlagen bei der Energieerzeugung. Aber genau für derartige Investitionen könnte der Stadt das Geld fehlen, wenn es vorher für den Netzrückkauf ausgegeben wird. Daher sind sich die Betriebsräte der E.ON-Hanse AG einig:

  • Es gibt keine überzeugenden Gründe für einen 100-prozentigen Netzrückkauf.
  • Es gibt aber erhebliche Gefahren für die sozialen Standards der Beschäftigten und deren Arbeitsplätze.

Die Vereinbarung der Freien und Hansestadt Hamburg mit den Energieunternehmen ist die intelligentere Lösung. Sie ermöglicht Investitionen in erneuerbare Energien und Speichertechnologien bei gleichzeitiger Absicherung von Arbeitsplätzen und Sozialstandards. Weitere Informationen unter:http://www.hamburg.de/contentblob/3684830/data/d-kooperationsvereinbarung-eon.pdf