Ausgabe 04/2013
Der Zoll in der Lohnbuchhaltung
Seit in der Weiterbildungsbranche Mindestlöhne gelten, müssen die Unternehmen mit staatlichen Kontrollen rechnen. Doch Verstöße sind kein Straftatbestand, Beschäftigte müssen Lohndifferenzen einklagen
von Annette Jensen
Über 200 Bildungsträger bekamen in den vergangenen Monaten Besuch von Zollbeamt/innen. Sie sind in Deutschland dafür zuständig, Schwarzarbeit aufzuspüren und die Einhaltung von staatlich verordneten Mindestlöhnen zu kontrollieren. Seit August 2012 sind Anbieter von Arbeitslosenkursen verpflichtet, ihren Beschäftigten in Westdeutschland und Berlin mindestens 12,60 Euro pro Stunde und in Ostdeutschland 11,25 Euro zu zahlen. Nach überaus zähen Verhandlungen hatte das Bundes- arbeitsministerium im vergangenen Frühsommer entschieden, den von ver.di mit der Zweckgemeinschaft der Arbeitgeber ausgehandelten Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären.
"Die Beanstandungsquoten sind im Vergleich zu anderen Branchen niedrig", sagt Andreas Meyer von der Bundes-finanzdirektion Mitte, die einen Bereich quer durch die Republik von Brandenburg bis Ostwestfalen abdeckt. Die Kontrolleure hatten zunächst fast 3500 Beschäftigte befragt und wurden danach bei etwa 200 Personalabteilungen und Lohnbuchhaltungen von Weiterbildungsträgern vorstellig. In zehn Prozent der Fälle fanden sie etwas Unkorrektes.
"Vieles davon sind aber auch nur Formfehler oder Fristüberschreitungen", sagt Meyer. Wo die Mindestlöhne nicht gezahlt wurden, informieren die Beamten die Renten- und Krankenversicherungen, damit sie Nachforderungen erheben. Außerdem kann der Zoll Bußgelder verhängen. Ein Straftatbestand ist ein Verstoß gegen die Mindestlohnverordnung - im Gegensatz zur Schwarzarbeit - bislang nicht.
Wenn sich die betroffenen Beschäftigten also den ihnen nach der Verordnung zustehenden Mindestlohn sichern wollen, müssen sie sich selbst mit ihrem Arbeitgeber anlegen - notfalls vor Gericht.
Genau aber das traut sich ein Großteil der Betroffenen nicht, berichtet der Betriebsrat eines großen Bildungsträgers mit bundesweit mehreren tausend Beschäftigten. "Viele haben Angst, weil sie nur befristete Verträge haben - und das oft seit vielen Jahren." Vor kurzem gelang es ihm, Einblick in die Lohnliste seines Unternehmens zu nehmen. Dabei stellte er fest, dass etwa zwei Drittel seiner Kolleg/innen weniger bekommen, als rechtlich vorgeschrieben ist.
Manche Bildungsträger haben ihren Beschäftigten mitgeteilt, dass sie den Mindestlohnerlass des Arbeitsministeriums nicht anerkennen. "Wir gehen davon aus, dass über 30 Unternehmen geklagt haben", sagt Hans-Jürgen Sattler von ver.di. Derweil nähert sich die auf ein Jahr befristete Regelung bereits ihrem Ende; ein neuer Antrag ist gestellt. "Wenn alles gut läuft, gibt es am 1. Juli einen lückenlosen Anschluss", hofft Renate Singvogel, die ver.di in dem Verfahren vertreten hat.
Zoll ist unterbesetzt
Rund 6300 Staatsdiener/innen sind in Deutschland für die Bekämpfung von Schwarzarbeit und damit auch die Einhaltung der staatlich festgesetzten Mindestlöhne zuständig. Fast 500 Stellen sind unbesetzt, und die Zahl der Beschäftigten ist sogar leicht geschrumpft, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bündnisgrünen hervorgeht. Und das, obwohl die Beamt/innen für deutlich mehr Einnahmen sorgen, als sie selbst kosten, und die Zahl der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge wächst.
Jährlich gehen etwa 100.000 Hinweise beim Zoll ein - manche per Post oder E-Mail, andere übers Telefon. Auch anonyme Meldungen werden entgegengenommen. "Je nach Bauchgefühl entscheiden die Kollegen, ob es sich lohnt, dem nachzugehen, oder ob jemand nur mal einen Nachbarn ärgern wollte", sagt Klaus Salzsieder von der Bundesfinanzdirektion West, die federführend zuständig ist. Auch die zu erwartenden Einnahmen spielen bei der Auswahl der zu prüfenden Betriebe eine Rolle, räumt Salzsieder ein. So spülte eine Beanstandung im Pflegebereich im vergangenen Jahr durchschnittlich etwa 552 Euro in die Staatskasse, während die Verfahren gegen Wäschereidienstleister je mit rund 15.500 Euro zu Buche schlugen.
Die Aus- und Weiterbildung von Arbeitslosen ist mit rund 23.000 Arbeitnehmer/innen einer der kleineren Bereiche, in denen branchenspezifische Mindestlöhne gelten. Große Branchen sind dagegen die Pflege und das Gebäudereinigungsgewerbe, in denen jeweils gut 900.000 Menschen arbeiten. Wegen nicht gezahlter Mindestlöhne verschickte der Zoll im vergangenen Jahr Bußgeldbescheide in Höhe von 12,8 Millionen Euro.