Mutige bei Amazon in Leipzig ...

Sich mit einem Wirtschaftsriesen wie Amazon anzulegen, ist kein Sonntagsspaziergang. Einer der erstaunlich vielen Mutigen, die in der Auseinandersetzung um einen Tarifvertrag beim weltgrößten Online-Händler ganz vorn mit dabei sind, ist Christian Krähling. "Wenn ich nicht optimistisch wäre, dass wir es schaffen werden, würde ich nicht mitmachen", sagt er Ende Juli nach neun Streiktagen am größten deutschen Amazon-Standort in Bad Hersfeld. Dort arbeitet der 35-Jährige in der Qualitätsabteilung. Als Sprecher der ver.di-Vertrauensleute ist er einer der Motoren der Tarifbewegung. Die hat auch in Leipzig in den letzten Monaten schon viel Druck gemacht - mit sechs ganztägigen Arbeitsniederlegungen. Es geht darum, dass die Beschäftigten nach den Konditionen bezahlt werden, wie sie in den Tarifverträgen für den Einzel- und Versandhandel vereinbart sind.

Heute liegen die Löhne und Gehälter in den acht deutschen Versandzentren noch um mehrere tausend Euro im Jahr darunter. Selbst Weihnachts- und Urlaubsgeld waren bisher Fremdwörter für die Amazonier. Seit kurzem ist das anders, denn die Unternehmensleitung hat mitten im Arbeitskampf angekündigt, erstmalig in der Firmengeschichte in diesem Jahr Weihnachtsgeld zu zahlen.

...und Bad Hersfeld

"Allen ist klar, dass das ein Ergebnis unserer Streiks ist", sagt Christian Krähling, der seit 2009 im Unternehmen beschäftigt ist. "Viele wissen aber auch, dass es sich um einen Versuch handelt, uns den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch die Rechnung wird nicht aufgehen." Im Betrieb hat es sofort viel Kritik daran gegeben, wie das Geld verteilt wird. So sollen die in Level 3 eingestuften Vorarbeiter 600 Euro bekommen, die beiden Lohngruppen darunter aber jeweils 200 Euro weniger. "Das empfinden die Leute logischerweise als ungerecht, und schließlich ist das tarifliche Weihnachtsgeld im Einzel- und Versandhandel ja auch drei- bis viermal höher", so Krähling.

Faire Bezahlung ist für den boomenden Online-Handel keine Selbstverständlichkeit. Außer dem Branchenprimus Amazon, der in Deutschland mit 6,8 Milliarden Euro etwa ein Viertel der Umsätze macht, schert sich auch der rasant wachsende Internet-Versender Zalando nicht um Tarifverträge. Unter den großen Playern hebt sich nur die Otto Group als tarifgebundenes Unternehmen positiv ab.

"Wir bleiben unberechenbar für Amazon"

"Es kann nicht hingenommen werden, dass Amazon keine Tarifverträge anwendet und sich zu Lasten der Beschäftigten Wettbewerbsvorteile verschafft", sagt Bernhard Schiederig, der Streik- und Verhandlungsleiter für ver.di in Bad Hersfeld. "Wir haben einen langen Atem und werden für Amazon unberechenbar bleiben." Wie im Juli bei einer Arbeitsniederlegung an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Auch Schiederigs Kollege Jörg Lauenroth-Mago, der für das Leipziger Versandzentrum zuständig ist, spricht sich dafür aus, den Tarifkonflikt zu intensivieren. "Das bedeutet natürlich auch, gerade dann zu streiken, wenn es besonders weh tut - also im Vorweihnachtsgeschäft. Und das beginnt spätestens im Oktober."

Bis auf das Zugeständnis beim Weihnachtsgeld schaltet die Gegenseite bislang weiter auf stur. "Heute kann man bei Amazon von Büchern und elektronischen Geräten bis hin zu Tennisschlägern und Diamantschmuck alles kaufen", heißt es in einer Selbstdarstellung des Unternehmens. Doch ver.di gegenüber beharrt der Online-Riese darauf, gar kein Händler zu sein. Vertrauensleutesprecher Christian Krähling hält das für absurd, bleibt aber zuversichtlich: "Wenn wir so weitermachen wie bisher, sehe ich uns auf einem guten Weg. Wir können die Tarifbindung gemeinsam durchsetzen, aber das wird sicher eine lange Auseinandersetzung."