Es war die größte Delegation auf dem ver.di-Bundeskongress. Ein Bus mit Amazon-Beschäftigten aus fast allen Amazon-Standorten in Deutschland kam am frühen Nachmittag des 4. Kongresstages direkt von einer Streikversammlung am Leipziger Versandhandelszentrum zum Messegelände und zog mit wehenden Fahnen und lauten Sprechchören ins Plenum. Seit zweieinhalb Jahren ist der Kampf der Amazon-Beschäftigten um einen Tarifvertrag eine sogenannte Chefsache bei ver.di. Da ist es das Mindeste, diejenigen, die unmittelbar an der Basis alles daran setzen, endlich tarifgebunden zu sein, auch vor den Delegierten aller ver.di-Mitglieder sprechen zu lassen.

Amazon darf nicht Schule machen

Christian, Vertrauensmann aus Leipzig, Christian aus Bad Hersfeld, der die Online-Petition "Behandeln Sie Ihre Mitarbeiter/innen fair, Jeff Bezos!" gestartet hatte, und Silvia, Vertrauensfrau aus Graben, haben für alle gesprochen. Und sie haben deutlich gemacht, dass sie erst Ruhe geben werden, wenn sie den Tarifvertrag des Einzel- und Versandhandels haben. "Unser eigentliches Ziel, Mitbestimmung und Tarifbindung, ist noch lange nicht erreicht", sagte Christian aus Leipzig. Und Christian aus Bad Hersfeld sagte: "Wir können es nicht zulassen, dass Unternehmen wie Amazon das Rad der Zeit zurückzudrehen versuchen. Die führen hier die modernsten Arbeitsmethoden und die modernsten Techniken ein, und gleichzeitig versuchen sie, Verhältnisse zu schaffen wie im 19. Jahrhundert." Damit dürfe Amazon nicht Schule machen.

Beschäftigte wie die beiden Christans und Silvia nutzen ihre Sonntage und nicht selten auch ihren Urlaub, um Amazon die Stirn zu bieten. Erreicht haben sie tatsächlich schon einiges, die mittlerweile bundesweit bis zu 3.000 Streikenden. Weihnachtsgeld, wenn auch nur ein kleines, und Lohnerhöhungen, auch wenn die noch weit von ihrer Forderung entfernt sind. Vor allem fehlt es an Mitbestimmung. Europaweit vernetzen sich die Amazon-Beschäftigten, darüber hinaus ist ein Band mit den Beschäftigten in den USA geknüpft. Weil die Arbeitsbedingungen allerorts auf die eine oder andere Art überhaupt nicht in Ordnung sind.

Dass Amazon der Druck seiner Mitarbeiter/innen zunehmend nervt, zeigte der neuerliche Versuch, ver.di gerichtlich zu untersagen, die Beschäftigten auf dem Betriebsgelände über Streiks zu informieren. Doch die Arbeitsgerichte Pforzheim und Koblenz wiesen die Amazon-Klagen ab, mit denen untersagt werden sollte, dass ver.di-Mitglieder Flugblätter an ihre Kolleginnen und Kollegen verteilen und diese ansprechen. "Wir haben dadurch Zugang zu den Streikbetrieben und können Kolleginnen und Kollegen darüber informieren, warum wir zum Streik bei Amazon aufrufen - nämlich zur Durchsetzung ihrer elementaren Rechte", sagte Stefanie Nutzenberger vom ver.di-Bundesvorstand.

Diese seien in einem Tarifvertrag festzuschreiben, der ihnen existenzsichernde Löhne und gute Arbeitsbedingungen sichere. Amazon hingegen diktiere willkürlich die Arbeitsbedingungen: "Die Beschäftigten gehen kaputt an dem System von Leistungsdruck und Kontrolle. Wir werden diese wesentliche Auseinandersetzung daher mit aller Kraft weiterführen", so Nutzenberger. Und auch auf dem Bundeskongress blieb kein Zweifel: Die Amazon-Beschäftigten ziehen das durch. Vorerst haben sie bis Ende September an fünf Standorten gestreikt. Aber nach dem Streik ist bei ihnen auch wieder nur vor dem nächsten Streik. Der Tarifvertrag ist das Ziel. "Wir wissen alle, dass das nicht von heute auf morgen geht", sagte Silvia vor den ver.di-Delegierten. "Aber wir sind eine starke, mächtige Gemeinschaft. Wir werden es schaffen!" pewe