Ausgabe 07/2013
Mit zweierlei Maß
In Berlin verhandeln CDU, CSU und SPD über die Regierungspolitik in den kommenden vier Jahren. Dringend etwas tun muss die neue Regierung vor allem bei der Rente. Immer häufiger reichen die Zahlungen im Alter nicht zum Leben, wachsende Altersarmut ist die Folge. Und die Ostrenten sind auch 23 Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht angepasst.
Irgendwie klarkommen: Hermine Sharma (60) lebt zur Untermiete und bettelt täglich drei Stunden im Hamburger Schanzenviertel, um den Monat zu überstehen
Die Hoffnungen waren groß. "Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein", versprachen CDU, CSU und FDP vor vier Jahren in ihrem Koalitionsvertrag. Kurz zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, beim 9. Deutschen Seniorentag versprochen: "Ich stehe dazu, dass wir eine solche Angleichung von Ost und West brauchen. Ich würde, wenn sie mich nach dem Zeitrahmen fragen, sagen, dass das Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird." Das war im Juni 2009.
Ostrenten klar im Nachteil
Trotz der Versprechungen - erledigt ist das Thema bis heute nicht, im Jahr 23 nach der Wiedervereinigung. Derzeit ist ein Entgeltpunkt bei der Rente im Westen 28,14 Euro wert, im Osten 25,74 Euro. Das ist eine Differenz von 8,5 Prozent. Nach den Entgeltpunkten, die im Laufe eines Erwerbslebens erworben werden, berechnet sich ab dem Renteneintritt die Höhe der monatlichen Zahlungen - und durch diese Differenz sind die Ostrentner/innen immer noch klar im Nachteil.
Die Differenz entsteht durch die Löhne, die im Osten meist noch niedriger sind als im Westen. Allein die bundesweite Einführung eines allgemeinen, gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde zum 1. Januar 2014 würde die Differenz nach ver.di-Berechnungen ab Juli 2015 auf 5,7 Prozent schrumpfen lassen. Gemeinsam mit anderen Gewerkschaften und Sozialverbänden ist ver.di bereits seit 2006 in dem "Bündnis für eine gerechte Rentenangleichung in den neuen Bundesländern" aktiv. Das hat diese Ungerechtigkeit bei den Renten ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Entwickelt hat ver.di außerdem ein gemeinsames Modell für eine schrittweise, steuerfinanzierte Anpassung bis hin zum Gleichstand.
"Das kann man keinem mehr erklären"
Ob es bei den jetzigen Koalitionsverhandlungen endlich zu einem Durchbruch für eine tragfähige Lösung kommt, ist offen - noch ist zum Verhandlungsstand bei diesem Thema nichts öffentlich geworden. Es scheint aber so, als wollten auch diesmal die zukünftigen Koalitionäre kein Geld für die Angleichung ausgeben. Zwar hat die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig beim Ostrentengipfel des Bündnisses noch im Mai 2013 versprochen, dass auch die SPD endlich konkrete Schritte einleiten wolle, "damit wir zu einem einheitlichen Rentensystem in Ost und West finden. Das kann man keinem mehr erklären, warum die Lebensleistungen der Menschen unterschiedlich bemessen werden, je nachdem ob sie in Ostdeutschland oder in Westdeutschland gearbeitet haben." Daran wird sich die SPD jetzt ebenso wie die Union am Zitat von Angela Merkel messen lassen müssen.
Die Altersarmut wächst
Das Online-Satiremagazin Der Postillon empfiehlt, das Flaschenpfand zu erhöhen, damit Rentner/innen eine bessere Möglichkeit haben, sich etwas dazu zu verdienen. Für immer mehr ältere Menschen hat diese bittere Satire einen wahren Kern. Rund 465.000 Rentner/innen über 65 Jahren waren 2012 auf Leistungen aus der Grundsicherung angewiesen. Ihre Rente reicht nicht zum Leben. Das waren 6,6 Prozent mehr als noch im Vorjahr, hat das Statistische Bundesamt festgestellt. Überwiegend sind es Frauen, aber auch die Zahl der bedürftigen Männer ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren noch drastisch verstärken. Die politischen Weichen sind mittlerweile so gestellt, dass das Rentenniveau bis 2030 auf 43 Prozent des vorherigen Einkommens sinken soll.
Basis ist eine Standardrente mit 45 Beitragsjahren, doch auf die kommen immer weniger Rentner/innen. Müssen Durchschnittsverdiener heute 28 Jahre Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, um auf Grundsicherungsniveau zu kommen, werden es 2034 voraussichtlich 34,5 Beitragsjahre sein. Aber wer schafft schon über Jahre hinweg ein Durchschnittseinkommen?
Schlecht bezahlte Jobs nehmen zu, eine lebenslange Anstellung ist eine Erzählung aus vergangenen Zeiten. Realität sind heute unbezahlte Praktika, wechselnde Jobs und immer mehr Teilzeitarbeit.
Bei den Frauen liegt häufig nach wie vor ein Großteil der Familienarbeit. Daher bleiben ihnen oft nur Minijobs, die ihnen allerdings - wenn überhaupt - nur minimale Rentenzahlungen einbringen. Auch das Renteneintrittsalter, das bis 2031 auf 67 Jahre angehoben werden soll, erreichen nur wenige. Die Folge: Abschläge, die die Rente noch weiter schmälern.
Nach einer aktuellen Auswertung des DGB-Index "Gute Arbeit" gehen rund 80 Prozent der Beschäftigten davon aus, dass ihre gesetzliche Altersrente allein nicht reichen wird oder dass sie damit nur so gerade eben über die Runden kommen werden. Es muss also dringend gehandelt werden.
Es gibt Alternativen
Doch die Vorschläge, die Union und SPD in ihren Wahlprogrammen haben, sind da nur unzureichend. Die Solidarrente der SPD geht von 40 Beitragsjahren aus, für ihre Lebensleistungsrente setzt die Union sogar 45 Beitragsjahre plus private Vorsorge voraus. Und wer das schaffen sollte, soll mit Leistungen knapp über der Grundsicherung belohnt werden. Der Vorschlag der Union, die Rente für Mütter zu erhöhen, deren Kinder vor 1992 geboren worden sind, bringt zwar mehr Gerechtigkeit, kann aber allein nicht die Folgen der Benachteiligung von Frauen im Berufsleben ausgleichen.
Deswegen empfiehlt sich dringend das Rentenkonzept, das der Deutsche Gewerkschaftsbund aufgelegt hat. Danach könnten die Renten mit vertretbaren Beitragserhöhungen zukunftsfest gemacht werden. Auf die Rente mit 67 könnte dabei verzichtet werden und es wäre sogar noch genug Geld da, um die Erwerbsminderungsrenten endlich zu reformieren. www.ichwillrente.net
Flyer zum ver.di-Modell unter https://sozialpolitik.verdi.de/alterssicherung_betriebliche_altersvorsorge_pflege
Ein Link zur Dokumentation des Ostrentengipfels vom Mai 2013 auf http://sopo.verdi.de