Adel hat Tränen in den Augen. "Stell dir vor, von fast 1000 Gästen des Ferienhotels in Sousse, wo gerade ein Selbstmordanschlag verhindert wurde, haben nur 20 Personen das Angebot angenommen, nach Hause zurückzufliegen. Die anderen bleiben ganz bewusst!" Für ihn, den selbstständigen tunesischen Reiseleiter, ist das ein Akt der Solidarität. Terror schadet dem Tourismus, aber vor allem den Leuten, die davon leben. Terror, Naturkatastrophen, politische Instabilität wirken sich unmittelbar auf das Tourismusgeschäft aus. Urlauber fürchten Chaos, Unsicherheit, Unbequemlichkeiten.

Teufelskreis Krise

Schlechte Bedingungen also für den gesellschaftlichen Wandel in Tourismuszielen wie Ägypten und Tunesien. Denn die Wirtschaft ist die Achillesferse des demokratischen Aufbruchs in den arabischen Ländern. Die Arbeitslosigkeit in Tunesien liegt bei 18 Prozent, im Landesinneren ist fast jeder Dritte arbeitslos. Noch schlechter sieht es in Ägypten aus. Auch hier brachten Frust und Perspektivlosigkeit der Jungen den Präsidenten Mubarak zu Fall - doch nach der Revolution warten sie immer noch vergebens auf ein besseres Leben. Experten schätzen die Arbeitslosenquote auf 30 Prozent, darunter sehr viele Beschäftigte aus dem eingebrochenen Tourismusgeschäft. Die politische Krise verschreckt die Touristen, das löst eine wirtschaftliche und soziale Abwärtsspirale aus, und diese Wirtschaftskrise verstärkt wiederum die politische Krise. Ein Teufelskreis. Die Tourismusbranche versucht sich zu helfen, indem sie Hammamet in Tunesien oder Hurghada in Ägypten zu Dumpingpreisen verschleudert. Was dem Image der Reiseländer nachhaltig schadet.

Hinzu kommt: eine rückwärtsgewandte Moral der neu erstarkten islamistischen Kräfte im Maghreb und in Ägypten. Ihr schlechtes Image bei nordeuropäischen Urlauber/innen schreckt ab. Sonnenhungrige fahren dann doch lieber gleich auf die sicheren und vertrauteren Kanarischen Inseln. Das wirtschaftlich angeschlagene Spanien profitiert stark von den politischen Umwälzungen in Nordafrika, aber auch von den jüngsten Protesten in der Türkei. Dort waren im Juni wochenlang hunderttausende Menschen gegen die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf die Straße gegangen. In Ägypten wurde der demokratisch gewählte Präsident Mohammed Mursi nach tagelangen Protesten Anfang Juli vom Militär gestürzt. Und in Tunesien kam es immer wieder zu Demonstrationen gegen die regierenden Islamisten und zu Terrorübergriffen auf Militärs. Zuletzt jagte sich ein Selbstmordattentäter im November vor dem erwähnten Touristenhotel in Sousse in die Luft, zu dem ihm glücklicherweise der Eintritt verwehrt worden war.

Kein Wunder, dass so viele Touristen wie nie in diesem Sommer nach Spanien reisten: Im Juli zählten die Hotels, Pensionen und Campingplätze 7,9 Millionen Urlauber, wie das Tourismusministerium in Madrid mitteilt. Ein Plus von 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ein historischer Höchstwert. Die meisten Urlauber kamen aus Großbritannien, Deutschland und Frankreich.

Führend sind die Briten. Mit 23,2 Prozent (plus 3,4 Prozent) stellen sie fast ein Viertel der Spanienfans. Platz zwei in der Besucherrangliste belegen die Franzosen, Platz drei die Deutschen. Für diese steht Spanien beim Sommerurlaub nach wie vor an erster Stelle. Allerdings: Die Spanier selber sparen am Urlaub, und weit weniger Italiener und Portugiesen ließen sich zum Spanien-Trip motivieren. Skandinavier, Iren und vor allem Russen buchten dafür vermehrt. Zwischen Januar und Juli zählte das spanische Tourismusministerium immerhin 34 Millionen ausländische Gäste, ein Plus von 3,9 Prozent. Weitere 22 Millionen werden bis zum Jahreswechsel erwartet. Und auch Portugals Touristiker sind hochzufrieden: Sowohl die südliche Algarve als auch Lissabon verzeichneten mit fünf beziehungsweise 7,1 Prozent hohe Zuwachsraten.

Einziger Wachstumsmotor ist der Tourismus auch für den Euro-Krisenstaat Griechenland: "In den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 ist die Zahl der Museumsbesucher um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Archäologische Ausgrabungsstätten in Griechenland verzeichnen sogar ein Wachstum der Besucherzahlen um 30 Prozent. Auch die griechische Kreuzfahrtindustrie meldet von Januar bis September 2013 Zuwachsraten in Höhe von zwölf Prozent", so die Angaben des Griechischen Amts für Statistik. Im Juni stiegen die Tourismuseinnahmen sogar um 21 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro, glaubt man den Angaben der griechischen Notenbank. Und im ersten Halbjahr kletterten die Umsätze um 18 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro. Die griechische Tourismusbranche peilt für 2013 insgesamt ein Einnahmeplus von zehn Prozent auf elf Milliarden Euro an.

Während Terror, Naturkatastrophen und politische Instabilität dem Tourismus schaden, werden wirtschaftliche Krisen wie in Spanien und Griechenland nicht als bedrohlich empfunden. Im Gegenteil: So manche/r hofft insgeheim vielleicht auf viele Schnäppchen vor Ort.

Nach den Reisewarnungen einiger Regierungen - auch für das Rote Meer - haben mehrere ausländische Tourismusunternehmen ihre Flüge ins ägyptische Sharm el-Sheikh reduziert oder ganz eingestellt. Und auch für Tunesien wurden Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes für bestimmte Regionen herausgegeben. Der Präsident des Deutschen Reise Verbandes (DRV), Jürgen Büchy, hat die Reiseveranstalter in seiner Grundsatzrede bei der DRV-Jahrestagung Mitte November in Salzburg dazu aufgerufen, sich an die Vorgaben des Auswärtigen Amtes bei Unruhen in Zielgebieten zu halten. Die Branche tue sich keinen Gefallen, wenn jeder Einzelne die Reisehinweise des Amtes in Zweifel ziehe und durch seine eigene Einschätzung ersetze. "Wir brauchen diese externe Instanz, die eine unabhängige Einschätzung der Sicherheitslage abgibt und an deren Vorgaben sich alle halten", erklärte der DRV-Chef. "Wenn wir hierbei keinen Konsens finden, verunsichern wir unsere Kunden und machen unsere subjektiven Sicherheitseinschätzungen zum Wettbewerbsbestandteil."

Risiken und Nebenwirkungen

Auch wenn sich die Veranstalter in punkto Sicherheitshinweise einigen sollten: Urlauber/innen kommen nicht umhin, Risiken und Nebenwirkungen einer Reise selbst abzuschätzen. Gewarnt sei dabei auch vor ortsferner, medial geschürter Hysterie. Ein gutes Argument etwa für Reisen nach Ägypten oder Tunesien bleibt, dass der Tourismus auch ein Mittel gegen Extremismus sein kann. Auch deshalb hat sich der tunesische Reiseleiter Adel so aufrichtig über die Entscheidung der 980 Urlauber/innen gefreut, trotz Terrorattacke im Land zu bleiben.

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