Ausgabe 02/2014
Verzicht aus Angst um den Job
Gute Pflege braucht Anerkennung statt Arbeitsverdichtung und Gehaltsverzicht
Krankenhäuser zu Gesundheitshäusern! Mit diesem Slogan fordert ver.di in Hannover Reformen für Beschäftigte und Patienten. Über 150 Betriebsräte aus niedersächsischen Krankenhäusern kritisierten auf einer Fachkonferenz, an der auch Sozialministerin Cornelia Rundt, SPD, teilnahm, die dramatische Belastung der Beschäftigten. Denn mehr als 17.000 Stellen in Niedersachsen sind nach einem ver.di-Personalcheck nicht besetzt. In den 193 niedersächsischen Kliniken arbeiten derzeit 90.000 Beschäftigte sowie 10.000 Auszubildende.
Die Situation ist kritisch: Zwei Drittel aller Kliniken im Land schreiben nach Aussage der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft rote Zahlen, einige sind von Insolvenz und Schließung bedroht. Ursache dafür sind die unzureichende Finanzierung der notwendigen Investitionskosten sowie der laufenden Kosten durch die sogenannten Fallkostenpauschalen. ver.di fordert eine verbesserte Krankenhausfinanzierung - durch eine größere Gewichtung des Personalanteils bei den Fallkostenpauschalen, eine bundesweit einheitliche gesetzlich geregelte Personalbemessung und höhere Krankenhausinvestitionen seitens des Landes.
Die Investitionen müssten - so Experten - in den nächsten fünf Jahren um jährlich 50 Prozent angehoben werden, um die Personalkosten nicht weiterhin aus laufenden Betriebskosten zu decken. "Die mangelnde Ausstattung und Finanzierung führt zur Leistungsverdichtung und zum Qualitätsverlust in der Patientenversorgung. Wir wollen aus Krankenhäusern Gesundheitshäuser machen", so ver.di-Fachbereichsleiter Joachim Lüddecke. In einigen Kliniken, die vor der Insolvenz stehen, schließt ver.di inzwischen Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. "Die Beschäftigten haben Angst um ihre Arbeitsplätze und werden unter Druck gesetzt, auf Gehalt zu verzichten. Es kann nicht sein, dass Krankenhausbeschäftigte zur Kasse gebeten werden, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu sichern", sagt ver.di-Tarifsekretärin Elke Nobel.
"Der wirtschaftliche Wettbewerb in den Krankenhäusern darf nicht zu Lasten des Personals gehen. Wenn auch künftig noch junge Menschen für den Pflegeberuf gewonnen werden sollen, brauchen wir mehr Anerkennung in diesen sozialen Berufen", appelliert ver.di-Gesundheitsexperte Herbert Weisbrod-Frey an die Politik. ver.di hat 2013 in einem bundesweiten "Personalcheck" einen Fehlbestand von mehr als 20 Prozent der Stellen festgestellt. Bundesweit fehlen 162.000 Vollzeitstellen in den Krankenhäusern, davon 70.000 in der Pflege.
Mehr Kranke, weniger Personal
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Krankheitsfälle um zehn Prozent erhöht; bei einer verkürzten Patientenverweildauer von 12,5 auf sieben Tage - und einem Personalabbau um fünf Prozent. International schneidet Deutschland schlecht ab: Werden hier durchschnittlich zehn Patienten pro Pflegekraft versorgt, sind es in Norwegen lediglich vier Patienten. Laut DGB-Studie zum Index "Gute Arbeit" meinen inzwischen 74 Prozent der Pflegenden, dass sie ihren Beruf unter derzeitigen Bedingungen nicht bis zum Rentenalter werden ausüben können. 2008 waren es 51 Prozent.
Die Landesregierung stellt jährlich etwa 120 Millionen Euro Investitionsmittel für alle Kliniken bereit - 2014 sind es 124 Millionen Euro. Doch nach Schätzungen von ver.di und Krankenhausgesellschaft hat sich allein in Niedersachsen in zwei Jahrzehnten ein Investitionsstau von mehr als einer Milliarde Euro aufgebaut.