Mit breiter schwarz-roter Mehrheit hat der Bundestag am 23. Mai dem von der Regierung vorgelegten Rentenpaket zugestimmt, das damit - wenn auch der Bundesrat am 13. Juni sein Plazet gibt - am 1. Juli 2014 in Kraft treten kann. Es besteht aus einer aufgewerteten Mütterrente, einer vorgezogenen abschlagsfreien Altersrente nach 45 Versicherungsjahren sowie leichten Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und den Leistungen zur beruflichen Rehabilitation.

Während die Grünen fast komplett dagegen stimmten, übte die Linksfraktion geschlossen Enthaltung: Die neuen Regelungen seien "viel zu gut", um sie abzulehnen, aber auch "viel zu schlecht", um ihnen zuzustimmen, begründete Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linken, die Haltung seiner Fraktion und zeigte damit ein Dilemma auf, in dem sich viele sozialpolitisch Engagierte sehen, wenn es um die aktuelle Rentenpolitik geht.

Soweit man repräsentativen Meinungsumfragen trauen darf, nehmen die Bundesbürger/innen eine pragmatisch-solidarische Haltung mit denen ein, die von den Rentenbeschlüssen Vorteile haben: Bei einer Umfrage von Infratest Dimap für das ARD-Morgenmagazin kurz vor der Abstimmung im Bundestag erklärten 73 Prozent der Befragten, dass sie "die Rente mit 63 nach 45 Berufsjahren für den richtigen Weg" halten. Nur 22 Prozent waren der Meinung, es gehe rentenpolitisch in die falsche Richtung.

Frühverrentungs-Tsunami? Generationenkrieg?

Was haben die betroffenen Mütter und "Frührentner" nun konkret zu erwarten? Das Schlaraffenland, wie man nach all dem Lärm aus Richtung der Wirtschafts- und Unternehmerverbände und der ihnen zugewandten Wirtschaftswissenschaftler und Medien vermuten könnte? Beschworen wurden von ihnen der Kollaps der Sozialsysteme, ein Frühverrentungs-Tsunami, der Generationenkrieg. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass das von ihnen als explosiv denunzierte Paket der Regierung recht wenig Sprengstoff enthält und vom Gewicht her eher als Päckchen durchgeht.

Da ist zunächst einmal die sogenannte Mütterrente, also die erhöhte Anrechnung von Erziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren wurden. Mütter (ggf. auch Väter), die schon in Rente sind, erhalten ohne gesonderten Antrag vom 1. Juli 2014 an pro Kind monatlich einen Zuschlag von 28,61 Euro in West- bzw. 26,39 Euro in Ostdeutschland, und zwar brutto. Die Beträge für die ersten Monate nach Inkrafttreten der Regelung kommen voraussichtlich im Laufe des Herbstes als Nachzahlung, danach wird der Zuschlag monatlich ausgezahlt. Neurentner/innen erhalten bei der Berechnung ihrer Rentenhöhe einen zusätzlichen Rentenpunkt im Wert von ebenfalls monatlich zurzeit 28,61 Euro West bzw. 26,39 Euro Ost brutto. Auf grundlegende Kritik stößt bei der Mütterrente, dass ihre Kosten von der Rentenkasse gestemmt werden sollen, statt sie aus Steuermitteln zu finanzieren.

Heftigen bis bösartigen Anfeindungen ausgesetzt war bis zuletzt der abschlagsfreie Zugang zur Altersrente mit 63 Jahren für "besonders langjährig Versicherte". Das sind Arbeitnehmer/innen, die, wie es im Sozialversicherungs-Deutsch heißt, eine "Wartezeit" von 45 Jahren erfüllt, auf gut Deutsch: 45 Jahre Arbeit auf dem Buckel und Versicherungsbeiträge gezahlt haben. Direkt nach dem 63. Geburtstag in Rente gehen darf von ihnen aber nur, wer zwischen dem 1. Juli 1951 und dem 31. Dezember 1952 geboren ist. Wer erst 1953 geboren ist, muss schon zwei Monate länger arbeiten, der Jahrgang 1954 vier Monate, 1955 sechs Monate usw. Und für alle, die 1964 und später geboren sind, gilt wieder, was bisher schon galt: Altersrente nach 45 Versicherungsjahren frühestens mit 65.

Eine Beispielrechnung zu den Zahlbeträgen, um die es geht: Ein Arbeitnehmer des Jahrgangs 1952, der 45 Jahre lang durchschnittlich verdient und Versicherungsbeiträge gezahlt hat, hätte bereits nach altem Recht 2015 mit 63 Jahren in Rente gehen können: nach Abzug von Abschlägen mit einer Monatsrente von ca. 1 225 Euro (brutto!). Nach neuem Recht bekommt er ca. 1 285 Euro, also 60 Euro mehr im Monat - immer brutto! Wenn er bis 65 arbeitet, würde die Rente auf ca. 1 345 Euro steigen. So sehen sie also aus, die Beträge, mit denen "200 000 Menschen jedes Jahr vorzeitig in den Ruhestand gedrängt" werden, wie jedenfalls Kurt J. Lauk prognostiziert, der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates.

Langzeitarbeitslose werden noch mehr abgehängt

Jenseits von solcherlei Humbug gab und gibt es allerdings auch eine Fülle von kritischen Äußerungen vor allem aus Richtung der Gewerkschaften und der Sozialverbände. Vor allem die Feststellung: Millionen von Langzeitarbeitslosen bleiben ausgeschlossen von den - wenn auch kleinteiligen - Verbesserungen, werden also bewusst noch weiter abgehängt in der gesellschaftlichen Entwicklung. Und wer zwei Jahre vor Rentenbeginn arbeitslos wird, ohne dass sein Betrieb insolvent ist oder komplett geschlossen wird, soll ebenfalls leer ausgehen. Diese skandalöse Bestimmung war ganz zum Schluss auf Druck der Gegner des Rentenpäckchens eingefügt worden - um eine Frühverrentungswelle zu verhindern, wie es hieß.

KOMMENTAR Seite 15