Zum 1. Januar 2015 wird bundesweit ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt. Doch für ver.di steckt der Teufel im Detail, sprich in den beschlossenen Ausnahmeregelungen. Im Interview bewertet ver.di-Landesleiter Detlef Ahting das schwarz-rote Gesetzespaket und kündigt die Mindestlohn-Tour an.

ver.di publik: Was überwiegt? Zufriedenheit über mehr Lohngerechtigkeit oder Kritik, dass die nicht für alle Arbeitnehmer/innen gelten soll?

Ahting: Wir begrüßen den gesetzlichen Mindestlohn. Davon werden mehr als fünf Millionen Arbeitnehmer profitieren, die heute noch weniger als 8,50 Euro verdienen. Außerdem wirkt der Mindestlohn der Lohndiskriminierung von Frauen entgegen. Die Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen stellt zudem sicher, dass auch ausländische Arbeitskräfte vor Lohndumping geschützt werden. Unterm Strich ist das Gesetz ein großer Erfolg für uns, für den wir jahrelang gekämpft haben.

ver.di publik: Kein Aber?

Ahting: Doch. Der gute Ansatz wird durch die Ausnahmen für unter 18-Jährige, Langzeitarbeitslose, für die Zeitungszusteller/innen und die Saisonarbeiter erheblich durchlöchert. Wir brauchen aber einen Mindestlohn ohne Ausnahmen und ohne Schlupflöcher. Langzeitarbeitslosigkeit zum Beispiel lässt sich nicht mit Lohnsenkung bekämpfen. Langzeitarbeitslose sind bereits seit einem Jahrzehnt verpflichtet, Jobs bis an die Grenze zur Sittenwidrigkeit anzunehmen, ohne dass sich an ihrer schlechten Arbeitsmarktsituation etwas geändert hat. Sie brauchen individuelle Hilfen, aber keine generelle Ausnahme vom Mindestlohn. Bevor Langzeitarbeitslose die Leidtragenden sind, müssen Mittel für die Integration bereitgestellt werden. Arbeitsministerin Andrea Nahles sei an ihre eigenen Worte erinnert, dass der Mindestlohn die Würde der Menschen wahren helfe. Das ist richtig, aber Würde kennt keine Ausnahmen - ohne Wenn und Aber! Wir wollen keine Hungerlöhne mehr, und zwar ausnahmslos!

ver.di publik: Nun gibt es aber tatsächlich weitere Ausnahmen...

Ahting: Wir hatten davor gewarnt, diesen Forderungen nachzugeben. Heuchlerisch ist vor allem der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der zwar nicht erreicht hat, dass Zeitungszustellerinnen und -zusteller dauerhaft vom Mindestlohn ausgenommen werden, aber immerhin für zwei Jahre. Auch die Argumente von Ministerin Nahles für Ausnahmen bei jugendlichen Beschäftigten sind völlig absurd. Die Ministerin will junge Menschen unter 18 Jahren vom Mindestlohn ausschließen, weil sie angeblich durch die finanziellen Vorteile von einer Ausbildung abgehalten werden könnten.

ver.di publik: Also ein realitätsferner Vorstoß?

Ahting: Die Realität sieht so aus: Junge Menschen nehmen heute einen Aushilfsjob an, weil zu wenig gute Ausbildungsplätze angeboten werden. Und die Erfahrungen in benachbarten EU-Staaten zeigen, dass die Ausnahme bestimmter Altersgruppen vom Mindestlohn nur eines bringt: Genau diese Gruppen werden vermehrt eingestellt, um Personalkosten zu sparen. Die Folge ist ein neuer prekärer Arbeitsmarkt, der reguläre Beschäftigung verdrängt.

ver.di publik: Was plant ver.di, um eine solche Entwicklung zu verhindern?

Ahting: Wir machen zusammen mit Partnern wie der Diakonie, der Arbeiterwohlfahrt und dem Bundesjugendring Druck gegen die Ausnahmen. Wir gehen auf eine "Mindestlohn-Tour" durch 60 Städte in Deutschland, um die Öffentlichkeit, aber auch die Ministerpräsidenten und Arbeitsminister der Bundesländer dafür zu gewinnen, dass der Mindestlohn ohne Schlupflöcher eingeführt wird.