Ausgabe 05/2014
Wird Harz IV noch härter?
Wird Hartz IV noch härter?
Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln*
Nach der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, der aufgrund seines hinausgezögerten Inkrafttretens, mehrerer Ausnahmen und seiner nicht existenzsichernden Höhe nur wenige Arbeitslosengeld-II-Bezieher aus Hartz IV herausführen dürfte, plant die Große Koalition eine Vereinfachung der Vorschriften im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), das die Grundsicherung für Arbeitsuchende regelt. Bis zum Jahresende wollen CDU, CSU und SPD das Gesetzespaket novellieren, das gemeinhin als "Hartz IV" bezeichnet wird. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur "Rechtsvereinfachung im SGB II" hat ein Papier mit Empfehlungen ausgearbeitet, die Bundesagentur für Arbeit zahlreiche Änderungsvorschläge dazu unterbreitet.
Beispielhaft erwähnt sei nur die Forderung nach "Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Erhebung von Daten im Internet" durch die Träger der Grundsicherung. Zur Begründung wies die Bundesagentur für Arbeit auf die wachsende Bedeutung des Internets für Handel und Dienstleistungen hin. Hartz-IV-Berechtigten wird unterstellt, dass sie "in nennenswertem Umfang" auf diese Weise computergestützt Einkünfte erzielten, ohne sie dem zuständigen Jobcenter zu melden. Die von der Agentur empfohlene "automatisierte Beobachtung des Internets zur Feststellung von Leistungsmissbrauch" wurde schon aufgrund der zeitlichen Nähe zum NSA-Skandal als "Ausweitung der Schnüffelpraxis" kritisiert und von der Bundesregierung inzwischen offenbar auf Eis gelegt.
Erwogen wird, Bezieher/innen von Arbeitslosengeld II bei dreimaliger Nichtbefolgung der Einladung ihres Jobcenters die gesamte Leistung - statt, wie bisher, maximal 30 Prozent davon - zu streichen. Das wäre eine qualitative Veränderung der ursprünglichen Regelung und keine Vereinfachung, sondern eine massive Verschärfung der bisherigen Sanktionspraxis. Noch schlimmer als der Hartz-IV-Bezug ist für die Betroffenen aber nur, ihn vorenthalten zu bekommen. Daher wären strengere Sanktionsregelungen ein weiteres Druckmittel gegenüber Belegschaften, Betriebsräten und Gewerkschaften, das eingesetzt werden könnte, um sie in Lohnkämpfen oder bei anderen Tarifverhandlungen kompromissbereiter zu machen. Möglicherweise wird versucht, aus Hartz IV durch die Hintertür der Verwaltungsvereinfachung "Hartz V" werden zu lassen.
Vorgeschlagen wurden auch versteckte Leistungskürzungen, die jedoch auf energischen Widerstand stießen und daher wohl nur geringe Verwirklichungschancen haben: Arbeitslosengeld-II-Bezieher/innen, die sich selbstständig machen wollen, aber nach zwei Jahren ihren Lebensunterhalt noch nicht selbst erwirtschaften, sollte die Förderung gestrichen werden. Dabei sind Anlaufschwierigkeiten beim Aufbau eines tragfähigen Geschäftsmodells normal, ganz abgesehen von psychosozialen Problemen jener Menschen, die von den Jobcentern als "Kunden" bezeichnet, aber wie lästige Bittsteller behandelt werden.
Neben sinnvollen Vereinfachungen für die Jobcenter und kleineren Erleichterungen für die Leistungsberechtigten - genannt seien die Verlängerung des Bewilligungszeitraums von in der Regel sechs auf zwölf Monate und die Einführung einer Bagatellgrenze, bis zu der versehentlich zu viel gezahltes Arbeitslosengeld II nicht an das Jobcenter bzw. die Agentur für Arbeit zurücküberwiesen werden muss - sollte es auch substanzielle Veränderungen des Hartz-IV-Systems geben! Das gilt besonders im Blick auf Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene, die von den Jobcentern häufiger und schärfer sanktioniert werden als ältere Leistungsberechtigte. Solcherlei Strenge ist weder in vergleichbaren Ländern noch auf anderen Rechtsgebieten (z.B. im Strafrecht) üblich.
Fazit: Hartz IV bleibt auch nach der Neuregelung vieler Details ein Konfliktherd. Das immer noch heftig umstrittene Gesetzespaket hat unsere Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert und sie kälter, aber keineswegs humaner oder friedlicher gemacht. Es darf keine weitere Erhöhung des Drucks auf Erwerbslose und auf die Menschen geben, die im Niedriglohnsektor arbeiten und sogenannte Aufstocker sind. Ziel muss vielmehr eine armutsfeste, bedarfsgerechte und repressionsfreie Grundsicherung sein. Wenn die SPD, der wegen ihrer "Agenda"-Politik und der Hartz-Gesetze bereits viele Millionen Wähler und hunderttausende Mitglieder abhanden gekommen sind, bei der anstehenden Gesetzesnovellierung erneut versagt, büßt sie auch noch den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit als "Partei der sozialen Gerechtigkeit" und "Verteidigerin des Wohlfahrtsstaates" ein.
* Zuletzt von ihm erschienen: die 5., umfassend aktualisierte Auflage seines Standardwerkes Krise und Zukunft des Sozialstaates bei Springer VS (Wiesbaden, 2014)
Es darf keine weitere Erhöhung des Drucks auf Erwerbslose und auf die Menschen geben,die im Niedriglohnsektor arbeiten und sogenannte Aufstocker sind