Mit einer Drohne haben die Amazon-Beschäftigten ihrem Chef eine Bestellung geschickt - und sind ihm damit einen Schritt voraus

Zielgenau ist die erste Drohne mitten auf dem Amazon-Betriebsgelände in Leipzig gelandet. Womit Jeff Bezos, der Chef des weltweit größten Online-Versandhandel-Unternehmens, bislang nur wirbt, haben seine Beschäftigten in Deutschland längst drauf: Am 28. Oktober 2014 wurde das erste Amazon-Paket bei 1a-Wetterlage ausgeliefert. Es ist allerdings den umgekehrten Weg geflogen. Amazon hat kein Paket verschickt, sondern hat eins bekommen, sozusagen wie die etlichen Retouren, die in den Amazon-Versandzentren tagtäglich eingehen. Und in diesem ersten Drohnenpaket lag natürlich auch ein Bestellzettel: "Artikel: Tarifvertrag, Stückzahl: 1, Preis: Flächentarifvertrag im Einzel- und Versandhandel."

Seit über einem Jahr streiken Amazon-Beschäftigte in Deutschland für einen Tarifvertrag, und zwar für den Tarifvertrag im Einzel- und Versandhandel. Amazon ist bislang nicht tarifgebunden, orientiert sich aber - so der Konzern, wenn er danach gefragt wird - an den Tarifen in der Logistikbranche, wo niedrigere Löhne gezahlt werden. Im Mutterland USA ist der Handelstarifvertrag der schlechtere, weshalb Amazon dort genau diesen für seine Beschäftigten heranzieht. Auch auf der deutschen Facebook-Seite bezeichnet sich Amazon als Einzelhändler und ist hierzulande zudem Mitglied in der Berufsgenossenschaft Handel. Dennoch werden die PR-Strategen des Konzerns in Deutschland nicht müde zu betonen, Amazon sei ein Logistikunternehmen. Es geht Jeff Bezos eben überhaupt nicht darum, was er ist, Logistiker oder Händler, er will einfach nur den möglichst niedrigsten Lohn zahlen.

Für die Amazon-Beschäftigten ist das zunehmend ein Ärgernis. Und es werden auch immer mehr unter ihnen, die sich die anhaltende Weigerung des Konzerns zu verhandeln nicht mehr bieten lassen wollen. Nach anfänglich zwei Amazon-Standorten in Deutschland beteiligen sich mittlerweile fünf Versandzentren des Online-Händlers an den Streiks. Und auch in Frankreich haben inzwischen die ersten Standorte gestreikt. Dort, wohin Amazon bisher gern ausgewichen ist, wenn es durch die Streiks in Deutschland zu Lieferverzögerungen gekommen ist. Und die internationale Vernetzung schreitet voran. Anfang November werden sich in Fulda Beschäftigte aus Deutschland, Frankreich, Tschechien, Polen, England und den USA treffen, um ihren Druck für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Löhne zu bündeln.

Dass dieser Druck längst wirkt, hat sich bereits im vergangenen Jahr gezeigt, als Amazon Deutschland an fast allen Standorten Weihnachtsgeld gezahlt hat und teilweise die Stundenlöhne erhöhte, um weitere Streiks zu vermeiden. Aber es reicht den Beschäftigten nicht, immer nur vom guten Willen oder einer Laune ihrer Chefs abhängig zu sein. Sie wollen vertraglich gesicherte Einkommen, den Abbau von Befristungen, längere Pausenzeiten, weniger Überwachung ihrer täglichen Leistung und mehr.

Die Welt, wie sie dem Amazon-Chef gefällt

Es ist nicht immer so ganz klar, in welcher Welt Jeff Bezos lebt. Es ist nämlich nicht so, dass er permanent Gewinne auf Kosten seiner Beschäftigten anhäufen würde. Im Gegenteil: Jeff Bezos hat in diesem Jahr Verluste im dreistelligen Millionenbereich eingefahren, die Amazon-Aktie hat seit Januar schon 30 Prozent eingebüßt. Doch Bezos investiert munter weiter in den Handel mit frischen Lebensmitteln, einem eigenen Smartphone, in die eigene Zeitung, den Transport mit Drohnen und vermutlich in einiges mehr. Womöglich ist ihm selbst nicht wirklich klar, dass er dazu schließlich auch seine mittlerweile annähernd 100.000 Mitarbeiter/innen braucht. Die ziehen jetzt zumindest in Deutschland mit der Message vor die Tore: "You'll never walk alone", Du gehst nie allein. Auch Bezos hätte sie auf seiner Seite, wenn er ihnen bei ihren Forderungen entgegenkäme.