In 60 Jahren haben sich die Seminarmethoden geändert. Heute geht es bewegt zu

von Renate Bastian

Wissen macht beweglich, Wissen macht mutig. Wem beim Zugang zu Bildung Wackersteine in den Weg gelegt werden, wird eher ängstlich oder gar aggressiv. Diese Erkenntnis stand an der Wiege der Gewerkschaften im 19. Jahrhundert. Vereine für Arbeiterbildung, für Sport oder Musik wurden ins Leben gerufen, um den gesellschaftlichen Benachteiligungen der arbeitenden Klasse entgegenzuwirken. Todesstille dann im Faschismus. Aber nach dessen Überwindung blühten freie Gewerkschaften und mit ihnen freie Bildung wieder auf.

Darüber freuten sich rund 30 geladene Gäste am 12. Januar 2015 in Gladenbach. Denn genau an diesem Tag vor 60 Jahren wurde das "Haus Blankenstein" nach nur elf Monaten Bauzeit eröffnet. Nicht nur für die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) als Träger und Sinnstifterin, sondern auch für das strukturschwache Marburger Hinterland war das "Heim" ein besondere Sache. "Allezeit ein Haus des Friedens", ein Haus des Lernens und ein Haus der Erholung sollte es sein. Zunächst war es gedacht als Ausbildungszentrum für Gewerkschaftsfunktionäre.

Für die "Elite des gewerkschaftlichen Führungsnachwuchses"

Das Ziel lautete: "In echter Begegnung von Mensch zu Mensch soll hier die Elite unseres gewerkschaftlichen Führungsnachwuchses nach den Grundsätzen der Toleranz und Humanität herangebildet werden. Ausgestattet mit einem guten Allgemeinwissen sollen die Kolleginnen und Kollegen frei von Hass, Neid, Zwang und Rache in echter Kollegialität und Solidarität zu Persönlichkeiten erzogen werden, die eines Tages den Führungsanspruch ihrer Mitmenschen im Betrieb, in der Verwaltung und in der Gewerkschaft geltend machen können." In den Sommermonaten stand Erholung im Vordergrund, eine Erfrischung des Körpers und des Geistes, die sich abhängig Beschäftigte leisten konnten. Noch heute ist das so. Und noch heute leistet man sich in Gladenbach täglich eine lange Mittagspause zwischen den Seminareinheiten.

1955 wurde Haus Blankenstein in Gladenbach eröffnet

Hinterland heißt die Gegend wirklich, aber es geht dort keineswegs hinterwäldlerisch zu. Die Gemeinde Gladenbach hatte schnell erkannt, welchen Vorteil für die Region das neue Bildungszentrum bieten würde. Arbeitsplätze wurden geschaffen. Beim Bau der Einrichtung wurden Handwerker aus der Region beschäftigt. Bildungsoffene Menschen würden interessierte Touristen nach sich ziehen. Die Gewerkschaft übernahm auch das umliegende Schlossberg-Gelände und sorgte darüber hinaus für die Erschließung des "Bergs". Und da Gewerkschaften alles andere als weltabgewandte Organisationen sind, richtete die DPG auch ein öffentlich zugängliches Café ein.

Gewerkschaftliche Bildung für den gewerkschaftlichen Kampf

Die Jahre verlangten nach Veränderungen. Lehr- und Lernmethoden entwickelten sich. Neue Themen und neue Techniken forderten neue Aufmerksamkeit. Zudem: Was in der Nachkriegszeit als Komfort bei der Unterbringung der Teilnehmenden galt, entsprach nach Jahrzehnten nicht mehr den Anforderungen. Mehrere Umbauten führten zum heutigen ver.di-Bildungszentrum.

Zwei "alte Gladiatoren" nehmen Stellung. Viktor Kalla, langjähriger Betriebsratsvorsitzender der Frankfurter Rundschau, ist der Überzeugung, dass nur, wer gewerkschaftlich gebildet ist, auch gewerkschaftlich kämpfen kann. So lernt und praktiziert man den aufrechten Gang. Und Jürgen "Jerry" Bothner, Landesleiter von ver.di Hessen, bekräftigt: "Gewerkschaften sind Träger einer wirklich demokratischen Gesellschaft. Durch Bildung schaffen sie die Voraussetzungen." Beide - und nicht nur sie - wünschten der Leiterin Ute Herrmann weiterhin Erfolg bei diesem Auftrag und den bewährten jugendlichen Schwung bei der Verwirklichung.

www.verdi-gladenbach.de

www.60-jahre-bildungszentrum-gladenbach.de