Ein bemerkenswertes Urteil mit einer einfühlsamen und lebensnahen Begründung hat jetzt das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) in Rostock veröffentlicht: Auch wenn einer auf der Intensivstation ihres Krankenhauses beschäftigten Krankenschwester bei der Behandlung einer Patientin Fehler unterlaufen sind, rechtfertigt das weder eine fristlose noch eine fristgerechte Entlassung, wenn die Kollegin bereits 28 Jahre in dem Krankenhaus arbeitet.

Die Zweite Kammer des LAG stellte fest: "Die Arbeit auf einer derartigen Station ist für die dort tätigen Schwestern und Ärzte seelisch besonders belastend. Es ist wohl menschenunmöglich, über Jahre hinweg eine gleichbleibende liebevolle Fürsorge gegenüber den Patienten zu leisten. Damit sollen Pflichtverletzungen nicht entschuldigt werden. Bei der Bewertung, ob jemand nach 28 Jahren wegen derartiger Vorfälle seinen Arbeitsplatz verlieren soll, muss dieser Umstand jedoch mit berücksichtigt werden."

Die 50 Jahre alte Klägerin war seit ihrem 20. Lebensjahr in der beklagten Klinik tätig, zuletzt als Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin. Auf der Station kommen nach Feststellungen des Gerichts auf eine Schwester bzw. einen Pfleger jeweils drei Patient/innen. Im April 2013 war auf der Intensivstation eine an Leukämie erkrankte Patientin in Behandlung, deren Mutter sich schriftlich darüber beschwerte, ihre Tochter leide dort seit Beginn ihres Aufenthalts unter Albträumen, in denen es ständig um die "Krankenschwester mit den roten Haaren" gehe. Die Beschuldigte erklärte, ihr gegenüber habe sich die Patientin zu keinem Zeitpunkt über die Behandlung oder den Service beschwert.

Großes menschliches Leid am Arbeitsplatz

Nach dem Tod der Patientin wollte die Klinikleitung die Schwester fristlos entlassen. Der Personalrat verweigerte die Zustimmung. Die Klinikleitung kündigte dennoch mit der Begründung, sie habe mehrfach gravierend ihre Pflichten verletzt. Die Entlassene erhob Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht Stralsund gab der Klage statt. Dort hatte sie vortragen, sie könne sich an die - später gestorbene - Patientin nur schemenhaft erinnern, und das auch nur, weil sie eine der wenigen Wachpatienten gewesen sei. Es könne bei der Betreuung der Patienten zwar grundsätzlich zu kurzen Verzögerungen kommen, aber sie schlage gegenüber den Schwerstkranken keinen barschen Ton an.

Das Landesarbeitsgericht räumte ein, dass die Vorwürfe, sollten sie zutreffen, jeweils für sich genommen und auch in ihrer Gesamtheit durchaus den Charakter eines wichtigen Grundes für eine Entlassung seien. Selbstverständlich bedürften gerade die Patienten auf einer Intensivstation besonderer Fürsorge. Aber im vorliegenden Fall sei auch eine Unterschreitung des Pflegeschlüssels nicht auszuschließen. In der Nacht des entscheidenden Vorfalls sei zwar ausreichend Pflegepersonal vorhanden gewesen. Aber, so das LAG: "An der grundsätzlichen Stressbelastung am Arbeitsplatz ändert sich dadurch nichts." - Revision zum Bundesarbeitsgericht ließ das LAG nicht zu. Henrik Müller

AKTENZEICHEN 2 SA 51/14