Dierk Hirschel leitet den Bereich Wirtschaftspolitik bei ver.di

"Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" Bertolt Brechts Dreigroschenoper ist noch immer aktuell. Geldhäuser prellten Anleger, manipulierten Zinsen, Wechselkurse sowie Rohstoffpreise und halfen tatkräftig bei Geldwäsche und Steuerbetrug. Das war organisierte Kriminalität. Dank der mühsamen Arbeit vieler Anwälte, Verbraucherschützer, Journalisten und Aufseher bleiben die Straftaten aber nicht ungesühnt.

Jetzt wurde erneut ein Fall von schwerem Steuerbetrug aufgedeckt. Einige Banken und Fonds - darunter auch öffentliche Geldhäuser - plünderten mit einem Dividenden-Steuertrick die Staatskassen. Vom Raubzug profitierten auch die Superreichen. Auf der Kundenliste der betrügenden Geldinstitute standen neben anderen etwa der Finanzakrobat Carsten Maschmeyer, der Drogeriekönig Erwin Müller und der Schalke-04-Boss Clemens Tönnies. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages ermittelt.

Und so lief der Betrug ab: Commerzbank, Hypo-Vereinsbank, die HSH Nordbank, die Landesbank Baden-Württemberg & Co handelten Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende. Die Banken verkauften vor dem Dividendenstichtag Aktien, die sie gar nicht besaßen. Nachdem die Dividende ausgeschüttet war, kaufte die Bank jene Aktien, die sie dem Käufer zugesagt hatte. Der Käufer, ebenfalls ein Finanzdienstleister, erhielt die Aktien somit erst einige Tage später gutgeschrieben. Solche "Leerverkäufe" waren und sind legal.

Der Trick: Auf Dividenden müssen 25 Prozent Abgeltungssteuer gezahlt werden; im Gegensatz zu Privatanlegern können Finanzdienstleister sich diese Steuer aber vom Finanzamt zurückerstatten lassen. Dafür brauchen sie lediglich einen Steuerbescheid ihrer Depotbank. Zunächst bekam der ursprüngliche Aktienbesitzer diese Steuerbescheinigung. Dann stellte die Depotbank des Käufers einen zweiten Bescheid aus, obwohl der Finanzdienstleister keine Steuer gezahlt hatte. Die Banken ließen sich die einmal gezahlte Steuer auf Kapitalerträge also zweimal erstatten. Die Beute teilten die Beteiligten unter sich auf. Diese sogenannten "Cum-Ex-Geschäfte" waren zumeist keine bedauerlichen Einzelfälle, sondern kriminelle Geschäftsmodelle. Der Schaden für den deutschen Staat wird auf rund zwölf Milliarden Euro geschätzt. Dieses Geld fehlt heute für Kitas, Schulen, Hallenbäder, Straßen und Brücken.

Der größte Skandal ist jedoch die Rolle der Politik. Die sozialdemokratischen Finanzminister Hans Eichel und Peer Steinbrück sahen dem Raubzug der Akteure in den Glaspalästen lange Zeit tatenlos zu. Ob aus Unfähigkeit oder mit Absicht muss noch geklärt werden. Erst 2007 wollte die Bundesregierung erstmals gegen die dubiosen Cum-Ex-Geschäfte gesetzlich vorgehen. Da der Steuertrick aber nach Auffassung von Fachbeamten schon immer rechtswidrig war, brauchte es dafür kein neues Gesetz. Es hätte völlig ausgereicht, wenn die Banken Besuch vom Steuerprüfer bekommen hätten.

Jetzt wurde die Bankenlobby aktiv. Der Bundesverband der deutschen Banken und die Deutsche Bank machten einen Gesetzesvorschlag: Zwar lief ihre Empfehlung darauf hinaus, rein inländische Cum-Ex-Geschäfte zu unterbinden. Die asozialen Deals sollten jedoch weiterlaufen, wenn ausländische Banken sich am Dividendenhandel beteiligen. Die Zusammenarbeit zwischen Bankenlobby und Ministerium lief wie geschmiert. Der Vorschlag der Banken wurde fast wortgleich ins Gesetzblatt übernommen. Dazu passt, dass mehrere hohe Beamte des Bundesfinanzministeriums Honorare von Topkanzleien kassierten, die bei den Dividendengeschäften kräftig mitmischten. Mit dem neuen Gesetz konnten Banken und Fonds durchstarten. Die Cum-Ex-Party ging jetzt richtig los. Es dauerte weitere fünf Jahre, bis Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Finanzraubritter endlich stoppte. Der oberste Kassenwart trieb die hinterzogenen Steuern jedoch nicht konsequent ein. Das zuständige Bundeszentralamt für Steuern prüfte mangels Personal nur Cum-Ex-Deals über 750.000 Euro.

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss muss nun herausfinden, ob Korruption im Spiel war. Unabhängig davon ist bereits ein riesiger politischer Schaden entstanden. Im besten Fall wussten die zuständigen Fachbeamten, Staatssekretäre, Minister und Abgeordneten nicht, was sie taten. Die Verantwortlichen fragten mangels Fachkompetenz einfach ein paar Banker und wurden dabei über den Tisch gezogen. Ein politisches Armutszeugnis. Wenn Gesetze nicht mehr im zuständigen Ministerium, sondern in den Schreibstuben der Lobbyisten verfasst werden, brauchen wir uns über das dramatisch schwindende Vertrauen in die Politik nicht zu wundern.

Der Schaden für den deutschen Staat wird auf rund zwölf Milliarden Euro geschätzt