Janine Witt ist Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) beim regionalen Energieversorger enviaM in Halle/Saale

ver.di publik - In eurem Unternehmen, der enviaM, wurde gerade die Seminarreihe "Fakten statt Populismus" beendet. Alle rund 350 Azubis an drei Standorten haben teilgenommen. Wie kam es dazu?

Janine Witt - Der Anlass war, dass gegenüber von unserem Betriebsgelände in Halle ein Hotel als Unterkunft für Geflüchtete bereitgestellt wurde. Das hat zu Verunsicherungen und Diskussionen bei vielen Beschäftigten geführt. Uns, der JAV, aber auch unserer Ausbildungsleiterin, war klar, dass wir etwas tun müssen.

ver.di publik - Wie seid ihr vorgegangen?

Witt - Zufällig gab es gerade eine ver.di-Konferenz in Halle, auf der das Projekt "Fakten statt Populismus" vorgestellt wurde. Als JAV haben wir gedacht, das wäre auch etwas für uns, und haben es in unserem Ausbildungszentrum vorgeschlagen. Unsere Ausbilder fanden die Idee gut, wir haben den Kontakt zu ver.di vermittelt, und alles ging seinen Weg. Die JAV war die Schnittstelle.

ver.di publik - Wie wird bei euch über das Thema Flucht und Geflüchtete diskutiert?

Witt - Die Meinungen dazu sind sehr unterschiedlich. Viele sind aufgeschlossen den Asylbewerbern gegenüber. Aber es gibt auch manche, die ablehnend sind und Vorurteile pflegen. Die beschweren sich etwa, dass Flüchtlinge Handys haben. Dann heißt es: "Warum können die sich das leisten?" Oder: "Die kommen nur her, damit sie Geld von uns bekommen." Nachdem die Asylsuchenden im Hotel eingezogen sind, warnten einige Kollegen vor Übergriffen auf Frauen und einem Anstieg der Kriminalität. Solche Vorurteile sind leider sehr präsent.

ver.di publik - Das Seminar war für alle Auszubildenden Pflicht. Wie verliefen die Debatten?

Witt - Die Teamer haben jedes Argument aufgenommen und es gemeinsam mit den Teilnehmern geprüft. Zum Beispiel das Vorurteil mit den Handys: Wir haben darüber gesprochen, warum Asylsuchende Handys brauchen - um mit ihren Familien zu kommunizieren oder sich zu informieren, welche Grenze gerade offen ist und welche nicht. Oder der vermeintliche Anstieg der Kriminalität: Wir haben einen Blick in die polizeilichen Kriminalstatistiken geworfen. Das war interessant, denn es kam raus, dass es überhaupt keine Unterschiede bei der Zahl der Straftaten zwischen deutschen Staatsbürgern und Asylsuchenden gibt.

ver.di publik - Wie waren die Reaktionen?

Witt - In unserer Runde gab es ein sehr positives Feedback. Natürlich kam es auch zu kleineren Kontroversen, aber das ist ja gut so. Dazu hat sicher beigetragen, dass die Seminare nur jeweils zehn bis 15 Teilnehmende hatten. Das war eine Bedingung von ver.di. Und dadurch hatten wir immer Raum für lebendige Diskussionen. In den Auswertungsrunden kam schließlich heraus, dass besonders die Seminarbroschüre gut ankam. In der werden den populistischen Vorurteilen gut recherchierte Fakten gegenübergestellt.

ver.di publik - Was hat dir das Seminar gebracht?

Witt - In betrieblichen Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen fühle ich mich jetzt viel sicherer, weil ich nun gute Argumente an der Hand habe. Ich nutze die Broschüre zum Beispiel als Argumentationshilfe. Auch in den sozialen Medien, wo krasse Sachen geschrieben werden, ist es schön, wenn man mehr weiß und das auch einsetzen kann.

ver.di publik - Wie geht es jetzt weiter?

Witt - Die Seminarreihe war ein Pilotprojekt. Wir setzen uns dafür ein, dass sie in den offiziellen Ausbildungskatalog aufgenommen wird. Ich würde auch anderen Firmen unbedingt raten, das Projekt zu übernehmen. Es ist eine große Chance, auch mit Leuten ins Gespräch zu kommen, mit denen sonst nicht diskutiert wird.

Interview: Johannes Schulten

Das Projekt

Die Seminarreihe "Fakten statt Populismus" ist ein Projekt von ver.di und der DGB-Jugend, das sich in erster Linie an Azubis und junge Beschäftigte richtet. "Unsere Idee ist, erst mal Verständnis zu schaffen, indem wir uns mit den unzähligen Vorurteilen auseinandersetzen und Fakten präsentieren", sagt Markus Borck, ver.di-Landesfachbereich Ver- und Entsorgung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Fremdenfeindliche Stimmungen machten vor den Betriebstoren nicht halt. Deshalb sei es wichtig, am Arbeits- und Ausbildungsplatz präsent zu sein und die Auseinandersetzung zu suchen.

Die Seminare sollen in die Ausbildungsgänge der Unternehmen integriert werden und so alle Azubis erreichen. Beim regionalen Energieversorger enviaM haben alle 350 Auszubildenden Seminare in Halle/Saale, Falkenberg und Leipzig besucht. Jetzt werden weitere Kooperationspartner gewonnen. Interesse bekunden bisher die Technischen Werke Dresden, die Stadtverwaltung Dresden, die Uniklinik Leipzig, Vattenfall und die Berliner Stadtreinigung.