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Wer glaubt, mit der Ausbildung nur einen Beruf zu erlernen, der oder die irrt. Man muss sich auch mal erheben, um Recht zu bekommen, um weiterzukommen oder sich auch einfach mal nur für andere einzusetzen, weil sich's gut anfühlt. Es gibt viele Gründe und viele Menschen, für die es sich lohnt, in der Gewerkschaft zu sein ... "Bei den Azubis bin ich ein alter Knochen"

Interview - Sein erster Job ist es nicht, aber definitiv ein Job, in dem er sich rundum wohl fühlt. Der Oranienburger Raymond Block ist 28 Jahre alt, verheiratet und macht seit 2015 bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement

ver.di publik - Raymond, du hast mit 27 Jahren eine Ausbildung bei der BSR angefangen. Was hast du vorher gemacht?

RAYMOND BLOCK - Während der Schulzeit habe ich bei Kaufland gejobbt, für den kleinen Luxus wie neue Klamotten und mein Auto. Und nach dem Abitur bin ich über die damalige Wehrpflicht bei der Bundeswehr gelandet. Da wollte ich eigentlich nur zwei Jahre bleiben, das wurde Wehrpflichtverlängerung genannt. Aber die Bundeswehr bietet viel und ich wollte gerne noch mehr erleben. Ich habe dann als Pipeline-Pionier gearbeitet und das Geld hat auch gestimmt. Nach einigen Weiterbildungen bestand die Überlegung darin, dass ich das Maximale bei geringstem Aufwand aus dieser Zeit rausholen will. Und daher bin ich acht Jahre geblieben. Jetzt kann ich mir die Ausbildung so angenehm wie möglich gestalten, gerade was das Finanzielle angeht. Ich muss in meinem Alter nicht mehr allein von der Ausbildungsvergütung leben, sondern die Bundeswehr finanziert mich sozusagen noch nach. Über den Berufsförderungsdienst bekomme ich drei Jahre lang Unterstützung bei der sogenannten "Reintegration" ins zivile Leben.

ver.di publik - War die BSR deine erste Wahl als Ausbildungsbetrieb?

RAYMOND - Ehrlich gesagt, habe ich mich fast nicht getraut, mich bei der BSR zu bewerben. Da wollen ja viele hin, und ich hatte gehört, man bekommt nur mit Vitamin B einen Job. Zur Sicherheit habe ich mich auch anderweitig umgeguckt und mich auch um eine Ausbildung zum Rechtspfleger beworben. Das passt ganz gut zu meinem hohen Gerechtigkeitsempfinden. Aber das mit dem Vitamin B bei der BSR stimmt zum Glück nicht. Als ich im Nachrück-Verfahren zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde, habe ich mich wahnsinnig gefreut.

ver.di publik - Und wie ist es jetzt bei der BSR?

RAYMOND - Also, die BSR ist ja ein riesiger Apparat. Ich denke immer, da hängt eigentlich ganz Berlin dran. Also jeder, der sich in Berlin bewegt, hat doch mit der BSR zu tun. Die BSR hat irgendwie Macht, die sind überall präsent. Vielleicht so ein bisschen wie die Polizei. Wenn man die BSR sieht, ist Ordnung und Sauberkeit. Zack! Also die BSR ist schon eine richtige Wolke und fühlt sich auch echt gut an als Arbeitgeber. Die machen viel für ihre Leute und sind ein solider Arbeitgeber.

ver.di publik - Wann ist dir ver.di das erste Mal begegnet?

RAYMOND - Den ersten Kontakt zu ver.di hatte ich bei einem JAV-Seminar im Rahmen der BSR-Einführungstage für die Auszubildenden. Da gab es einen ver.di-Workshop. Manche Azubis haben das als eine "Werbeveranstaltung" von ver.di empfunden. Aber man muss immer dahinter hören und sich fragen, worum es eigentlich geht. Eben nicht nur um Streik und Beiträge. Und seit Oktober 2015 bin ich Mitglied bei ver.di. Dieser Kontakt hat sich nochmal intensiviert, seit ich im Februar im Zuge meiner Ausbildung auch im Personalrat eingesetzt war. Da sind die ver.dianer überall unterwegs, und die Jugend hat mich gefragt, ob ich Lust habe, mal mit zum "AK TaPo" zu kommen. Anfangs hatte ich wirklich überhaupt keine Ahnung, was das ist. Arbeitskreis Tarifpolitik! Da habe ich dann meinen Kopf mit eingebracht. Aber mit diesen ganzen Bezeichnungen komme ich immer noch nicht ganz klar.

ver.di publik - Abgesehen von den Abkürzungen, gab es sonst noch etwas Neues für dich bei ver.di?

RAYMOND - Während der Tarifrunde für den Öffentlichen Dienst habe ich mich mit unserer JAV bei der Jugend-Kampagne beteiligt. Das war für mich echt interessant, weil ich mich das erste Mal direkt dafür einsetzen konnte, was auf meinem Konto landet und welche Bedingungen wir allgemein an unserem Arbeitsplatz haben. Bei der Bundeswehr durfte ich ja nicht streiken. Die Demo in Potsdam vor der dritten Verhandlungsrunde war daher auch mein erster Streiktag. Das war schon eine spannende Geschichte, Frank Bsirske kannte ich vorher zum Beispiel auch nicht. Aber ich hatte mir dort mehr Streikende erhofft, wenn ich ehrlich bin. Viele Leute sind einfach zu gleichgültig. Wenn man was erreichen will, muss man doch auch aufstehen. Ich kann ja nicht von meinem Sofa aus sagen, bring mir mal das Bier her, damit ich es trinken kann.

ver.di publik - Ist der Altersunterschied zu Deinen Mit-Azubis für dich spürbar?

RAYMOND - Manchmal bin ich vielleicht schon ein bisschen der Papa, zumindest von unseren kaufmännischen Azubis. Aber aufgrund meines Alters darf ich weder in die JAV noch als Auszubildender in den Personalrat gewählt werden. Und das stört mich wirklich. Ich bin da aus allem raus, so ein stiller Mit-Azubi, weil ich eben ein alter Knochen bei den Azubis bin. Man kann doch nicht Auszubildende im Betrieb haben, die unter die Azubi-Regelungen fallen, aber nicht mehr das Recht haben, zu wählen oder gewählt zu werden. Ich kann für niemanden einstehen, obwohl ich das super gerne machen würde. Und deswegen bin ich auch bei ver.di. Da kann ich wenigstens noch ein bisschen was erreichen, auch wenn die Wahlregelung bei der ver.di Jugend ähnlich ist. Aber die Azubis bei der BSR wissen, dass ich bei ver.di bin und kommen mit ihren Fragen zu mir. Da kann ich so eine Art Mittelsmann sein, eine Bezugsperson. Das mache ich gerne, gerade bei Auszubildenden, die sich noch nicht so viel darum kümmern, was in ihrer Welt passiert.

ver.di publik - Wie geht es jetzt weiter mit Dir und ver.di?

RAYMOND - Bei der nächsten Tarifrunde und den Jugendaktionen bin ich wieder dabei. Aber während der Ausbildung muss ich auch ein bisschen auf meine Zeit aufpassen. Ich habe festgestellt, dass auch erwartet wird, dass man immer weitermacht, wenn man einmal drin ist in der ver.di-Welt. Während der Prüfungsphase ist das schwierig. Aber ich bin auf jeden Fall gewillt, mich im Personalrat zu engagieren, besonders nach meiner Ausbildung. Und dann gucke ich mal, wie dieses Engagement mit ver.di zusammengeht.

INTERVIEW: Maren Skambraks


"Fremdenfeindlichkeit habe ich hier noch nie erleben müssen"

Bei der Deutschen Post AG werden Geflüchtete über Praktika in Ausbildung gebracht. In dem Großkonzern mit über 30 Nationalitäten scheitert die Integration nur manchmal noch an der Bürokratie

Als im zurückliegenden Jahr rund eine Million Menschen nach Deutschland flüchteten, war erst einmal das Nötigste gefragt. Warme Unterkünfte, Kleidung und medizinische Versorgung. Jetzt geht es darum, die Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren. Wichtig ist dafür vor allem die Teilhabe am Arbeitsmarkt. So hat zum Beispiel die Deutsche Post AG im vergangenen Jahr ein großangelegtes Integrationsprogramm gestartet. Insgesamt bot der Konzern 1.000 Praktika zur Berufsvorbereitung für Geflüchtete an.

Im Januar dieses Jahres bewarben sich so im Paketzentrum in Feucht bei Nürnberg vier Flüchtlinge aus Äthiopien. Das Orientierungspraktikum sollte einen ersten Einblick in den Beruf der Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen (FKEP) bieten und deckte alle Stationen ab, die das Berufsbild umfasst. Auf die erste Woche im Paketzentrum folgte deshalb eine Woche im Briefzentrum. Im Anschluss waren die vier Äthiopier gemeinsam mit einem Paketzusteller auf Zustelltour in Erlangen unterwegs. "Ihr Einsatz und ihr Integrationswille sind bemerkenswert", sagt Denny Sturm, der in der Niederlassung Nürnberg unter anderem für die Einstellung von Mitarbeiter/innen zuständig ist.

Nicht so gut hat es dagegen in Berlin geklappt. Auch im dortigen Briefzentrum bot das Unternehmen Praktika für einen Einstieg in eine deutsche Ausbildung an. "Doch die drei Flüchtlinge, die sich hier beworben hatten, waren schon nach ein paar Tagen wieder weg", erzählt Efkan Kirtay, Vorsitzender der dortigen Jugend- und Auszubildendenvertretung, JAV. Sie hatten keine Arbeitserlaubnis bekommen und durften daher noch nicht einmal ein berufsvorbereitendes Praktikum absolvieren. "Unser JAV-Gremium war sehr enttäuscht. Wir hatten das Programm der Konzernführung sehr begrüßt und können nicht nachvollziehen, wieso eine so gute Idee an der deutschen Gesetzgebung scheitern muss", sagt Kirtay.

Integration wird hier täglich gelebt

Im Alltag funktioniere Integration bei der Deutschen Post ansonsten sehr gut, so der JAV-Vorsitzende: "Wir haben bei uns Beschäftigte mit 30 verschiedenen Nationalitäten. Zwischen 20 und 30 Prozent haben hier einen Migrationshintergrund." Er selbst hat einen Migrationshintergrund und ist nach seiner Wahl im JAV-Gremium sehr herzlich aufgenommen worden. Heute sitzt er der Interessenvertretung sogar vor. "Fremdenfeindlichkeit habe ich hier bisher noch nie erleben müssen", so Kirtay. Bei der Post wird Integration von den Beschäftigten täglich gelebt. Bisweilen scheitert sie hier nur an der deutschen Bürokratie.

Stefan Zimmer


Was ist eine AV, kann man das essen?

Wer eine Ausbildung beginnt, hat oft null Ahnung von seinen Rechten. Bei der Telekom sorgen Robin, Paul und andere dafür, dass das schon vor dem ersten Ausbildungstag nicht mehr der Fall ist

"Letztes Jahr haben wir Zuckertüten gebastelt für die Auszubildenden, Liegestühle mitgebracht und sind so mit den Leuten ins Gespräch gekommen", sagt Robin Fischer. Heute steht der 26-Jährige auf einer Bühne. Gerade hat die Leitung des Telekom-Ausbildungszentrums dort vor 33 frisch angehenden Fachkräften ihre Ansprache gehalten. Jetzt tritt Robin ans Mikrofon und stellt sich und die Auszubildendenvertretung (AV) vor. Robin ist schon ein "alter Hase", denn er hat seine Ausbildung zum IT-Systemkaufmann bereits hinter sich. Die neuen Auszubildenden hören ihm gespannt zu, während er kurz erklärt, wie die AV ihre Interessen in der Ausbildung vertritt.

Im Anschluss stehen Robin und seine Mitstreiter/innen aus der AV im Hof des Tagungshotels, in dem die Begrüßung der neuen Auszubildenden stattfindet. Zuckertüten und Liegestühle gibt es nicht. Stattdessen werden die Neuen zunächst einmal in ihre Ausbildungsgruppen aufgeteilt.

Was immer Sinn macht

In Leipzig hat die AV in den kommenden Tagen für jede Gruppe einen ganzen Tag, an dem sie ihre Arbeit und die Funktion einer Gewerkschaft ausführlicher vorstellen kann als Robin in seiner kurzen Rede. "Wir erzählen ihnen, welche Rechte und Pflichten sie in der Ausbildung haben. Dann geht es zur Frage, was ist eine AV, kann man das essen? Und anschließend gibt es einen relativ großen Part über ver.di", sagt Robin. Auch dabei ist Paul Schmidt, der zuständige Jugendsekretär von ver.di. "Wir werfen uns die Bälle gegenseitig zu. Paul erzählt immer, wozu ver.di eigentlich da ist und wieso es Sinn macht, da einzutreten", sagt Robin.

Richtig anschaulich wird das in einem Planspiel, das sie in diesen Tagesworkshop einbauen. Die AVler spielen dabei die Arbeitgeber und die frischen Auszubildenden sollen Forderungen diskutieren und diese dann in einer fiktiven Tarifverhandlung durchsetzen. Das führe meistens zu einem Aha-Effekt, sagt Robin: "Die erleben dann selber, dass sie ihre Ziele nur durchbringen können, wenn sie zusammenarbeiten und sich solidarisieren."

Für jedes Problem eine Lösung

Auch wenn die Auszubildenden von heute immer weniger etwas mit dem Wort Solidarität anfangen könnten, wie Robin meint, ist er mit seiner Arbeit sehr erfolgreich. Im Telekom-Ausbildungszentrum Leipzig-Chemnitz traten in den letzten Jahren zwischen 65 und 75 Prozent der insgesamt 250 Auszubildenden und Dual-Studierenden in die Gewerkschaft ein. Angesprochen auf sein Erfolgsrezept, nennt er als erstes die Menschen, die dahinterstehen: "Wir bringen das aus eigener Überzeugung rüber. Wir sind selber noch jung und versuchen, den Kontakt zur Basis zu halten." Wichtig sei auch die Verbindlichkeit bei ihrer Arbeit als Interessenvertretung. "Wir versuchen, Probleme, die uns gemeldet werden, auch wirklich sofort zu lösen." Die Älteren aus dem zweiten und dritten Ausbildungsjahr würden die AV und ver.di daher auch weiterempfehlen, weil sie mit beiden gute Erfahrungen gemacht haben.

Außerdem komme Paul regelmäßig persönlich bei ihnen vorbei. Das war früher nicht immer der Fall, dass die Gewerkschaft auch ein Gesicht bekommen hat. Aber es mache schon einen anderen Eindruck, wenn ein Hauptamtlicher von ver.di die Gewerkschaft persönlich vorstelle. Auf die ersten Kontakte im September bauen Robin und seine Mitstreiter/innen von der AV auf. "Gewerkschaft muss erlebbar sein", sagt er. Deshalb organisieren sie auch Sportevents wie Volleyball- oder Fußballspiele oder laden die Auszubildenden zum Grillen ein. So spüre jede und jeder Einzelne immer wieder, dass sie in ver.di Teil einer Gemeinschaft seien. Einer Gemeinschaft, die bei Problemen nicht nur unterstütze, sondern die auch Spaß mache. Und das auch über die Ausbildung hinaus, wie man nicht nur bei Robin sehen kann.

Stefan Zimmer

"Wenn man was erreichen will, muss man doch auch aufstehen.Ich kann ja auch nicht von meinem Sofa aus sagen, bring mir mal das Bier her, damit ich es trinken kann."