Es ist Sommer, und es ist kalt. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren, während sich draußen vor den Türen der TUI-Zentrale ein schwüler, grauer Sommertag auf Hannovers Straßen rumdrückt. Drinnen sind die langen Flure mit Postern von wilden Tieren, wunderschönen Landschaften und lachenden Gesichtern im Sonnenschein plakatiert. Doch trotz der Werbefotos kommt im unterkühlten Hauptsitz von Europas größtem Touristikkonzern kein Gedanke an Urlaub auf. Auch im Besprechungsraum "Thailand" wird die nüchterne Zweckdienlichkeit allein durch die Präsenz von Katharina gebrochen. Die ist gerade aus dem Urlaub zurück und sitzt aufrecht auf einem der schwarzen Bürostühle am Kopf des Tisches, während sie von ihrem ersten Ausbildungsjahr zur Tourismuskauffrau erzählt. Und dabei schneiden nicht nur ihre Hände gestikulierend die Luft, sondern es zischt auch der ein oder andere Funke. Zumindest scheint es so, denn Katharina sprüht nur so vor Begeisterung.

Dabei war der Start in ihre Ausbildung im letzten Jahr überhaupt nicht berauschend. Der große Knall kommt für Katharina im Winter 2015, kurz vor Weihnachten. Es heißt, der Arbeitgeber wolle den bisher zugesagten Reiseleiter/inneneinsatz streichen. Vier Wochen im Ausland arbeiten und lernen, so wie die vorangegangenen Auszubildenden-Jahrgänge der TUI, das war für die gebürtige Münchnerin der Grund gewesen, sich für die Ausbildung im Norden zu entscheiden. Weit weg von Freunden und Familie: Die erste eigene Wohnung. Der Umzug von Bayern nach Niedersachsen im Sommer 2015 war für Katharina "am Anfang echt schwierig, weil ich hier ganz allein war. München sei immer noch ihr Lebensmittelpunkt".

Gesunder Ärger

In Katharinas Heimatstadt ist der Branchenkonkurrent FTI TouristikGmbH ansässig. Sie hätte sich auch dort bewerben können. Dass sie es nicht getan hat, weil ihr das Ausbildungsprogramm der FTI nicht gefallen hat, erzählt Katharina nicht. Das verrät die Vorsitzende der Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung (GJAV), Eva Krieger, die noch hinzufügt: "Katharina hat viel auf sich genommen, um ihre Ausbildung bei der TUI zu machen. Ihr Ärger über das gebrochene Versprechen des Arbeitgebers zum Reiseleitereinsatz war aber trotz allem ein gesunder und produktiver Ärger." Die energiegeladene Katharina gerät immer noch ein wenig in Rage und zieht die leichte weiße Strickjacke aus, wenn sie ihre erste Reaktion auf die Kürzungspläne der TUI schildert: "Ich war mega sauer, und dachte, das nehmt ihr mir nicht weg! Das lasse ich nicht auf mir sitzen!"

Gesagt, getan. Katharina kann anpacken und hat Spaß am Organisieren. Das habe sie schon zu Schulzeiten als Klassensprecherin gemerkt. Bei der TUI gibt es den Jugend-Aktivenrat, und Katharina sieht im Rat ihre Möglichkeit, sich für den Reiseleiter/inneneinsatz stark zu machen. Gegründet wurde der Rat von Marvin Reschinsky, der inzwischen Jugendsekretär in der ver.di-Bundesverwaltung ist. Vor zwei Jahren feierte der Jugend-Aktivenrat große Erfolge: Es wurde erstmals ein Haus-Auszubildenden-Tarifvertrag abgeschlossen, in dem auch die Übernahme der Auszubildenden geregelt wird. Nach diesem Abschluss sei der Aktivenkreis etwas eingeschlafen, "jetzt ist er aber stärker zurück als zuvor", sagt Marvin, der den Rat inzwischen von Berlin aus begleitet.

#TUI GEILESLEBEN

Seit April 2016 ist Katharina eine der Sprecherinnen des Rats. Mit großer Überzeugung setzt sie sich für die Ziele des Jugend-Aktivenrats ein. Das wird spürbar, wenn sie von den fünf Aktionen erzählt, die der Rat im Laufe der gerade abgeschlossenen Tarifrunde und der Kampagne #TUI GEILESLEBEN gemeinsam auf die Beine gestellt hat. "Katharina kann andere extrem mitziehen. Aber wir mussten erst ein bisschen aus ihr rauskitzeln, dass sie auch vorne stehen kann", sagt die in Tarifauseinandersetzungen erprobte Eva.

Alle zwei Wochen treffen sich die 20 Vertrauensleute des Aktivenrats, um sich für die Interessen der knapp 400 Auszubildenden bei der TUI einzusetzen. In der kürzlich beendeten Tarifrunde ging es vor allem um den Erhalt des bestehenden Haus-Azubi-Tarifvertrags. Aber eben auch um einen neuen Ergänzungstarifvertrag, in dem der Reiseleitereinsatz und eine einwöchige Seminarreise schriftlich zugesichert werden. Diese Ziele habe sich der Rat in einer Umfrage unter den Azubis bestätigen lassen, sagt Katharina.

Doch vor der Umfrage musste eine Menge Aufklärungsarbeit geleistet werden. "Viele Azubis wussten ja gar nicht, was da mit den neuen Sparplänen des Arbeitgebers auf dem Spiel stand", sagt Katharina. In persönlichen Gesprächen und per Telefon informierten Katharina und ihre Mitstreiter/innen so viele Azubis wie möglich. Das sei unheimlich viel Arbeit gewesen, aber die Kampagne #TUI GEILESLEBEN wäre ohne die Unterstützung der Auszubildenden nicht erfolgreich gewesen.

"Katharina geht sehr unbefangen in solche Gespräche und hat dabei viele ver.di-Mitglieder geworben. Im November 2015 hatten wir bei der TUI nur 19 Mitglieder unter den Azubis, jetzt sind es inzwischen schon 100 ver.di-Mitglieder", sagt Marvin. Sie selbst betont, dass daran der gesamte Aktivenkreis seinen Anteil hat. Neben der Info über die Arbeitgeberpläne habe sie vielen Azubis aber vor allem die Angst nehmen müssen, als Gewerkschaftsmitglied beim Arbeitgeber "schlecht dazustehen", sagt Katharina und wirkt dabei selbst recht unerschrocken. Diese Sorge hat sie für sich abgehakt. Sie hat kein Problem "Gesicht zu zeigen", schließlich bekommt sie von vielen Kolleg/innen und Ausbilder/innen positive Rückmeldungen zur Arbeit des Jugend-Aktivenrats. "Katharina ist eine richtige Führungskraft, das finde ich im ersten Ausbildungsjahr schon erstaunlich," sagt Marvin über die zierliche blonde Münchnerin.

Aber natürlich läuft auch bei Katharina und dem neu belebten Jugend-Aktivenrat nicht alles wie geschmiert. So gewissenhaft Katharina ihre Ziele verfolgt, so sehr zehrte der Einsatz für ihr Herzensthema auch an ihren Kräften. In den Anfängen habe es vor allem an der Arbeitsorganisation gehapert, aber inzwischen hätten sie Arbeitsgruppen gebildet, so dass die Arbeit des Jugend-Aktivenrats besser auf alle Schultern verteilt sei. Trotzdem fühlte Katharina sich kurz vor ihrem Urlaub und dem Auslaufen der Tarifrunde Ende Juni "richtig ausgebrannt. Ich war grantig, weil so viel für den Jugend-Aktivenrat zu tun war. Ich habe aber auch immer die Arbeitsgruppen kontrolliert und aufgepasst, dass nichts ins Stocken gerät", sagt Katharina. Heute ist sie sich bewusst, dass dieser Einsatz wohl nicht immer nötig war. Durch die Arbeit im Jugend-Aktivenrat habe sie viel gelernt, vor allem aber sei sie kritikfähiger und toleranter geworden.

Auszeit in München

Von ihrer Ausbildung und ihren Einsätzen in Hannover erholt Katharina sich gerne im heimischen München. Einmal im Monat besucht sie ihre Eltern, den älteren Bruder und ihre Freunde. Dort joggt Katharina zusammen mit der Mutter und redet über fast alles, was sie bewegt. Doch weil ihr Vater eine kleine Firma hat und selbst Arbeitgeber ist, zögerte die sonst so selbstbewusste Katharina zunächst, ihren Eltern von ihrem Engagement für ver.di und den Jugend-Aktivenrat zu erzählen. Heute schmunzelt Katharina darüber, denn ihre Eltern seien unheimlich stolz auf sie. Zudem: "Mein Vater war früher selbst in der Gewerkschaft aktiv, als er noch angestellt war. Das wusste ich gar nicht", sagt Katharina, wobei wieder vor Begeisterung ein Funke durch den Raum zu blitzen scheint.

Bloß nicht leerlaufen

Dass die Kampagne #TUI GEILESLEBEN am Ende erfolgreich war, lässt alle Mühen vergessen. Seit Anfang Juli steht fest: Der Haus-Azubi-Tarifvertrag bleibt, und der Reiseleitereinsatz wird ebenso wie die Seminarreise endlich darin mit aufgenommen und garantiert. Ihren hart erkämpften Reiseleitereinsatz möchte Katharina gerne in einer spanischsprachigen Region machen. Um ihre Spanischkenntnisse aus der Abi-Zeit wieder aufzufrischen. Und weil die Paella eben nur in Spanien wirklich gut schmecke.

Für Katharina bedeutet das aber nicht das Ende ihres Einsatzes im Aktivenrat. Im Gegenteil. Sie ist entschlossen dran zu bleiben: "Der Haus-Azubi-Tarifvertrag läuft nur für ein Jahr. Dann kann er wieder gekündigt werden. Für meinen Jahrgang greift die Übernahmeregelung also nicht automatisch", sagt sie.

Und da sie Leerlauf sowieso nicht mag, hat Katharina sich gleich noch ein Ziel gesteckt. Im Herbst will sie sich zu den Wahlen der JAV (Jugend- und Auszubildendenvertretung) bei der TUI aufstellen lassen, weil ihr die Arbeit mit den Azubis viel Spaß mache und sie die Kreativität der bisherigen JAV ziemlich cool finde. Dem Jugend-Aktivenrat wird Katharina aber natürlich auch bei einer erfolgreichen Wahl in die JAV treu bleiben. Und Eva, die Vorsitzende der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung der TUI, blickt gleich noch ein Stück weiter in die Zukunft: "Ich hoffe, dass Katharina mal meine Nachfolgerin wird."

"Ich war mega sauer, und dachte, das nehmt ihr mir nicht weg! Das lasse ich nicht auf mir sitzen!"