Interview mit Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für den Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen

Sylvia Bühler

Median, der größte privatwirtschaftliche Reha-Konzern der Republik, verweigert die fälligen Entgelttarifverhandlungen mit ver.di. "Flexible Lohnmodelle" wolle man stattdessen vor Ort mit den Betriebsräten vereinbaren, heißt es. Das bedeutet einerseits Tarifflucht, andererseits auch Rechtsbruch, denn Arbeitsentgelte dürfen nicht in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden. Die 15.000 Median-Beschäftigten und ihre Betriebsräte an den 120 Einrichtungen des Konzerns stehen unter Druck. Aktionen und Warnstreiks sind seit Sommer an der Tagesordnung.

ver.di publik - Wie ist die Situation bei Median?

Sylvia Bühler - Es ist beschämend, dass der Konzern sich nicht an die Spielregeln unserer Gesellschaft hält, keine Tarifverträge abschließt und die Mitbestimmung nicht achtet. Besonders wenn man bedenkt, dass Unternehmen im Gesundheitswesen mit den Sozialversicherungsbeiträgen öffentliche Gelder bekommen - und dafür da sind, Menschen gesund zu machen. Demokratie endet nicht vor Kliniktoren.

ver.di publik - Was tut der Konzern?

Bühler - Seit die niederländische Investmentgesellschaft Waterland bei Median eingestiegen ist, ein nur am Gewinn interessierter Finanzhai, hat sich das Verhalten des Konzerns verändert. Gedrängt von Waterland, will Median ver.di aus dem Unternehmen vertreiben. Es gibt sogar die absurde Idee, eine eigene Median-Gewerkschaft zu gründen, mit der man leichtes Spiel hätte. Ende 2015 waren fast 70 Prozent der Beschäftigten in der Tarifbindung, heute sind es noch drei Prozent. Die Median-Führung hat die Tarifverträge gekündigt und mitgeteilt, keine Verhandlungen mehr mit ver.di führen zu wollen. Auch die Entgelttarifverhandlungen mit der AHG wurden auf Eis gelegt, nachdem Median die AHG-Gruppe gekauft hat. Median will statt der Tarifgehälter "marktähnliche Preise" bezahlen.

ver.di publik - Was heißt das für die Beschäftigten?

Bühler - Den Pflegekräften und Therapeuten bietet die Geschäftsführung individuelle Lohnerhöhungen an. Andere Beschäftigte, die aus Median-Sicht als leicht auswechselbar gelten, bekommen keinen Cent mehr. Darüber sollen Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden.

ver.di publik - Mit den Betriebsräten?

Bühler - Ja, die Betriebsräte werden dafür extrem unter Druck gesetzt. Wenige haben schon nachgegeben. Es ist auch sehr schwer für sie, wenn den Beschäftigten erklärt wird, Median wolle gern mehr zahlen, "aber euer Betriebsrat will ja nicht"! Gegen mehrere Betriebsräte, die sich gegen die Tarifflucht wehren und Betriebsvereinbarungen verweigern, geht Median mit Härte vor. So wurde eine Abmahnung gegen ein Mitglied unserer Tarifkommission in Grünheide ausgesprochen, wegen der Verteilung von ver.di-Tarifinformationen. In Berlin-Kladow und Bernkastel-Kues laufen gerichtliche Verfahren zu Notdienstvereinbarungen, mit denen Median Streiks verhindern will.

ver.di publik - Wie ist die Atmosphäre in den Häusern?

Bühler - Viele Beschäftigte sind verunsichert und haben Angst. Vor allem in ländlichen Regionen mit relativ wenigen Arbeitsplätzen fürchten sie, ihre Arbeit zu verlieren. Das sind wirkliche Existenzängste. Mit Entsetzen haben wir festgestellt, dass einige sogar zu eingeschüchtert sind, um einen Wahlvorstand für die Wahl eines Betriebsrates zu bilden. Deshalb informieren wir die Beschäftigten bundesweit über die Situation im Konzern und über ihre Rechte. Sie müssen wissen: Einseitige Gehaltsdiktate von Median bringen keine Rechtssicherheit.

ver.di publik - Was tut ver.di noch?

Bühler - Wir unterstützen die Betriebsräte, die meisten sind ver.di-Mitglieder, in den Auseinandersetzungen. Und wir appellieren an die Verantwortung der Krankenkassen, der Rentenversicherungsträger, der gesetzlichen Unfallversicherungen und Arbeitsagenturen, denn von denen bekommt Median viel Geld. Es geht darum, dass der Konzern die Beschäftigten mies behandelt. Das wirkt sich auch auf die Qualität der Versorgung der Kranken aus.

ver.di publik - Beeinflusst der Konflikt auch andere Konzerne?

Bühler - Indirekt schon. Andere Unternehmen beobachten genau, ob Median mit seiner Politik durchkommt. Das darf nicht Schule machen.

ver.di publik - Im Sommer fanden Warnstreiks statt, zum Beispiel in Berlin-Kladow. Wie geht es weiter?

Bühler - Obwohl die Beschäftigten im Gesundheitswesen meist nicht gewohnt sind, starke Konflikte auszutragen, weil zu ihrer Profession Geduld und Einfühlsamkeit gehören, Gespräche und nicht Kampf, werden jetzt doch viele aktiv. Für verlässliche Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge und mehr Geld und für demokratische Rechte. Sie sehen: Es ist Zeit, sich zu wehren - und sie tun das auch. Es ist gut, dass viele Beschäftigte sich an Protestaktionen bis hin zum Arbeitskampf beteiligen. Mitte September wird eine zentrale Demo zur Median-Zentrale in Berlin ziehen. Weitere betriebliche Aktionen werden vorbereitet. Wir wollen möglichst viele Kollegen mitnehmen, aber das ist eine Herausforderung für alle, auch für ver.di. Man muss bei Median fast schon ein Held sein, auch wenn man im Grunde nichts weiter will als seine Rechte.

Interview: Claudia von Zglinicki