Wer bekommt die Daten

Ein kurzer Werbefilm der Versicherungskammer Bayern zeigt, wie die Digitalisierung im Bereich Finanzdienstleistungen aussehen kann. Mit der "RundumGesund-App" können Privatversicherte ihre Arzt-Rechnungen und -Rezepte zur Erstattung einreichen. Die App auf dem Handy installieren, anmelden, die Rechnungen mit der App fotografieren und schon liegen sie bei dem größten öffentlichen Versicherer Deutschlands vor und können weiter bearbeitet werden. "Informativ, einfach zu bedienen, perfekter Service", bewirbt die Versicherungskammer Bayern ihr Produkt, und verspricht, dass die Übertragung der sensiblen Daten dank Verschlüsselung garantiert sicher sei.

Das ist nur ein Beispiel für die sogenannte Dunkelverarbeitung. Prozesse, um die sich früher Sachbearbeiter gekümmert haben, funktionieren jetzt auch ohne sie. Bei der Versicherungskammer übernehmen die Versicherten das Scannen, eine ausgefeilte Software weist die Belege bestimmten Vorgängen zu. Sie erkennt die dafür nötigen Schlüsselbegriffe wie Name, Versichertennummer und Art des Vorgangs. Auch in anderen Bereichen ist die Dunkelverarbeitung längst keine ferne Zukunftsmusik mehr. Kleinere Schäden am Auto können auf Basis von Fotos noch am selben Tag reguliert werden, Kleinkredite werden aufgrund von Fotos vom Wunschobjekt vermittelt - Bonität des Anfragenden vorausgesetzt.

Dabei war die Risikoprüfung bei Finanzdienstleistern bislang ein Bereich, in dem hoch qualifiziertes Personal gearbeitet hat. Mittlerweile überlassen Banken, Sparkassen und Versicherungsinstitute Entscheidungen immer mehr Programmen, die auf Algorithmen, auf automatisierte Bewertungen nach standardisierten Schemata basieren. "Algorithmen sind objektiver", nennt Karl-Heinz Brandl, Bereichsleiter "Innovation und Gute Arbeit" beim ver.di-Bundesvorstand, deren Begründung. Ein damit verbundener Personalabbau verlaufe schleichend. Und die Risikoprüfung ist nur ein Beispiel für die zunehmende Digitalisierung der Branche.

An sich ist sie nichts Neues. "Das Ganze bekommt eine neue Dimension und Geschwindigkeit ", sagt Brandl zur aktuellen Entwicklung. Während der damit verbundene Personalabbau bislang sozialverträglich abgelaufen sei, rechnet er in Zukunft mit Entlassungen.

Große Umbrüche

Nicht nur Banken und Versicherungen sind von einer stark zunehmenden Digitalisierung betroffen. Der Begriff "Arbeitswelt 4.0" macht deutlich, dass die gesamte Wirtschaft vor großen Umbrüchen steht. Auch den Dienstleistungsbereich wird es treffen. Besonders in Bereichen wie Handel, Logistik oder eben Finanzdienstleistungen wird sich Arbeit durch veränderte technische Möglichkeiten wandeln oder wegfallen. Ein Prozess, den ver.di mitgestalten will, denn auch digitalisierte Arbeit soll gute Arbeit sein.

Doch konkrete Zahlen zum befürchteten Arbeitsplatzabbau zu nennen, ist schwierig. Beispiel Finanzdienstleistungen: Zum einen sind viele Aufgaben wie das Scannen von Belegen oder das Eingeben von Daten schon heute outgesourct, teilweise ins Ausland. Zum anderen entstehen mit der weiter zunehmenden Digitalisierung in anderen Bereichen neue Arbeitsplätze, die Anforderungen verändern sich.

Der digitale Wandel

Digitalisierungskongress - Mit den Veränderungen der Arbeitsplätze durch Digitalisierung beschäftigt sich der Digitalisierungskongress der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit ver.di vom 17. bis 18. Oktober 2016 in der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin. Fachleute aus Gewerkschaften, Interessenvertretungen, Wissenschaft, Politik und der Netzcommunity werden über grundsätzliche und praxisorientierte Themen der Mitbestimmung und Mitgestaltung der Digitalisierung von Arbeit und Gesellschaft diskutieren.

www.verdi.de/themen/digitalisierungskongresse

Dazu zählen die Erstellung von Programmen und Anwendungen oder die Pflege der technischen Systeme. Hat früher ein Entwickler ein Programm geschrieben und das Produkt betreut, werden heute Entwickler in Pools zusammengefasst und flexibel entsprechend dem Bedarf bei der Entwicklung von Apps und Anwendungen in Projekten eingesetzt. Das sei die "Industrialisierung der Softwareentwicklung", sagt Ernst Caspersen, Konzernbetriebsratsvorsitzender bei der Fiducia & GAD IT AG. Sie betreibt die IT für Genossenschaftsbanken. Durch flachere Hierarchie veränderten sich die Anforderungen an die Führungskräfte. Die Informationshoheit liege nicht mehr allein bei ihnen.

Auch die von den Beschäftigten geforderten Fähigkeiten, sogenannte Skills, seien einem stärkeren Wandel unterworfen. Das Thema Qualifizierung und Weiterbildung habe für die Beschäftigten eine hohe Bedeutung, wenn es um den Arbeitsplatzerhalt geht. Auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats gebe es folgerichtig einen Bildungsausschuss.

Die Digitalisierung verändert die Anforderungen an die Beschäftigten im Bezug auf die fachlichen Inhalte aber auch hinsichtlich der Arbeitsumgebung. Christiane Mild, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende am Standort Münster der Fiducia & GAD IT AF, spricht von rund 2.500 Werkzeugen, sogenannten Tools, die innerhalb des Unternehmens für verschiedene Aufgaben genutzt werden. Tools, die auch zur Verhaltens- und Leistungskontrolle eingesetzt werden könnten, wenn es keine entsprechenden Regelungen zwischen Arbeitgeber und Interessenvertretung gibt. Deren Vielzahl und Komplexität seien ein große Herausforderung für die Betriebsräte.

Aber auch für die Kund/innen ändert sich vieles, oft erst mal freiwillig. Während 1998 acht Prozent der Deutschen ihre Bankgeschäfte am eigenen Computer oder per Telefon erledigten, also per Online-Banking, waren es 2014 nach Angaben des Bankenverbandes 54 Prozent, überwiegend mehrmals in der Woche. Damit werden immer mehr Aufgaben an die Kund/innen ausgelagert. Dass daraus auch über längere Zeit ein Zwang entstehen kann, zeigt das Beispiel Kontoauszug.

Früher konnte er selbstverständlich am Schalter abgeholt werden oder wurde nach Hause geschickt. Heute gibt es ihn kostenlos nur noch am Kontoauszugsdrucker, besser noch sollte er am heimischen Rechner ausgedruckt werden. "Dadurch haben die Banken eine Riesenersparnis", sagt Mark Roach, von der ver.di-Bundesfachgruppe Bankgewerbe. Sicher habe das auch Auswirkungen auf die Zahl der Beschäftigten gehabt, aber wegen des langsamen Personalabbaus über Jahre hinweg könne er keine genaue Zahl nennen.

Fließende Grenzen

An einem weiteren Beispiel macht er klar, wie fließend die Grenze zwischen den für die Kund/innen und für die Bank nützlichen Anwendungen ist. So bieten viele Banken in ihren Apps seit kurzem die Funktion der Fotoüberweisung an. Wer mit dem Smartphone überweisen möchte, macht mit der App ein Foto von der Rechnung oder einem vom Absender vorausgefüllten Überweisungsträger und schon füllt das Programm automatisch die Kontodaten in der App aus. Lästiges Abtippen entfällt, so weit so gut.

Das Verfahren macht eine im Laufe der Jahre stark verbesserte Texterkennung möglich. Mark Roach geht davon aus, dass Sparkassen, Banken und Versicherungen in Zukunft ihren Kund/innen verstärkt digitale Schließfächer anbieten werden. Hier können sie Kopien von wichtigen Unterlagen wie Ausweisen, Versicherungspolicen oder das Testament einlagern, nur sie haben Zugriff. Aber was ist, wenn die Bank mit Hilfe von Texterkennungssoftware mitliest? Sie gewinnt zusätzliche Daten über ihre Kund/innen. Gleiches gilt auch für das elektronische Haushaltsbuch, das Kund/innen mit ihrem Online-Konto führen können. Die Daten werden auf den Servern der Bank gespeichert, die noch genauer sehen können, wofür Geld ausgegeben wird. Die Folge könnten vermeintlich günstigere Angebote für Strom, Gas, Telefon oder Versicherungen sein.

Mittlerweile ist es möglich, mit dem Handy zu bezahlen. In England kann man mit dem Smartphone von einem Handy zum anderen Geld überweisen. Und Aufgaben, die früher Finanzdienstleister mit einem großen Filialnetz und vielen Mitarbeiter/innen erledigt haben, schaffen heute Startups mit Apps. Vieles hängt auch davon ab, wie die Kund/innen es nutzen und ob sie sich darüber im Klaren sind, wem sie welche Daten offenbaren. Daher ist auch eine gesellschaftliche Debatte über die Arbeitswelt 4.0 nötig, die ver.di mit ihrer Digitalisierungskonferenz weiter voranbringen will.

International, sozial, digital

Die Arbeitswelt wandelt sich. Das ist nichts Neues. Und schon immer waren es die Gewerkschaften, die diesen Wandel mitgestaltet haben. Auch jetzt, wo alle Welt von zunehmder Digitalsierung der Arbeitswelt 4.0 spricht, werden die Gewerkschaften, wird ver.di diese Herausforderung annehmen (G4+5). Vor Herausforderungen steht ver.di auch im kommenden Jahr bei den Sozialwahlen. Hier wollen zahlenreiche ver.di-Kandidat/innen auch in den kommenden sechs Jahre dafür sorgen, dass sich die Selbstverwaltung für die Belange der Versicherten einsetzt. Daran arbeiten sie transparent und nachvollziehbar (G3). Und auch international setzt ver.di auf Zusammenarbeit. (G2).

Heike Langenberg

Der digitale Wandel

Digitalisierungskongress - Mit den Veränderungen der Arbeitsplätze durch Digitalisierung beschäftigt sich der Digitalisierungskongress der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit ver.di vom 17. bis 18. Oktober 2016 in der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin. Fachleute aus Gewerkschaften, Interessenvertretungen, Wissenschaft, Politik und der Netzcommunity werden über grundsätzliche und praxisorientierte Themen der Mitbestimmung und Mitgestaltung der Digitalisierung von Arbeit und Gesellschaft diskutieren.

www.verdi.de/themen/digitalisierungskongresse

International, sozial, digital

Die Arbeitswelt wandelt sich. Das ist nichts Neues. Und schon immer waren es die Gewerkschaften, die diesen Wandel mitgestaltet haben. Auch jetzt, wo alle Welt von zunehmder Digitalsierung der Arbeitswelt 4.0 spricht, werden die Gewerkschaften, wird ver.di diese Herausforderung annehmen (G4+5). Vor Herausforderungen steht ver.di auch im kommenden Jahr bei den Sozialwahlen. Hier wollen zahlenreiche ver.di-Kandidat/innen auch in den kommenden sechs Jahre dafür sorgen, dass sich die Selbstverwaltung für die Belange der Versicherten einsetzt. Daran arbeiten sie transparent und nachvollziehbar (G3). Und auch international setzt ver.di auf Zusammenarbeit. (G2).

Heike Langenberg