Viele können sich die Krankenversicherung nicht leisten, weil die Beiträge auf der Basis von unrealistischen Einkommen berechnet werden

Solo-Selbstständiger Kurierfahrer

Von Isabell Tom

Bereits seit Jahresbeginn 2009 gibt es in Deutschland eine Krankenversicherungspflicht. Dennoch sind nach Schätzungen des ver.di-Referats für Selbstständige rund 120.000 Erwerbstätige bis heute nicht versichert. Sie können sich die Beiträge schlichtweg nicht leisten, der größte Teil von ihnen ist solo-selbstständig. Grund dafür sind von den gesetzlichen Kassen in Rechnung gestellte Regelbeiträge von knappen 700 Euro, mindestens aber 337 Euro. Dabei nehmen die Kassen ein für viele Selbstständige unrealistisches Mindesteinkommen in Höhe von gut 2.200 Euro im Monat als Basis. Hinzu kommt, dass viele Selbstständige beim Einstieg in den Beruf in die Falle der Privaten Krankenversicherung (PKV) getappt sind: Jung und gesund wurden sie mit niedrigen Beiträgen gelockt, die aber mit zunehmendem Alter und Familiengründung oft in unbezahlbare Höhen steigen.

Anders als Angestellte

Ausnahmen bei der Beitragshöhe gibt es bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur in außergewöhnlichen Härtefällen oder für Existenzgründer/innen, die zuvor arbeitslos waren. Damit werden Solo-Selbstständige anders behandelt als Angestellte: Die zahlen die Hälfte des aktuell festgelegten Beitragssatzes von insgesamt 14,6 Prozent ihres Einkommens. Hinzu kommt für sie ein Zusatzbeitrag in Höhe von durchschnittlich 1,1 Prozent. Der Arbeitgeber trägt die andere Hälfte des Beitragssatzes, also 7,3 Prozent.

Die ver.di-Selbstständigen machen sich dafür stark, dass das reale Erwerbseinkommen zur Bemessungsgrundlage für die Krankenversicherungsbeiträge wird. Diskutiert wird derzeit auch darüber, wie Auftraggeber angemessen an den Kosten für die soziale Sicherung beteiligt werden können. Existenzbedrohende Probleme für Solo-Selbstständige waren seit Einführung der Versicherungspflicht auch Beitragsrückstände bei den Krankenkassen, die etwa durch Auftragsflauten verursacht waren. Die wurden von den Kassen mit hohen Zinsen belegt, die durch die Intervention von ver.di 2013 abgesenkt wurden.

Doch nach wie vor müssen Betroffene erst ihre Schulden bei ihrer Krankenkasse abbauen, bevor sie wieder vollen Versicherungsschutz bekommen. "Wir setzen uns dafür ein, dass gesetzlich wie privat Versicherte mehr als nur die Notversorgung bekommen. Die Schuldentilgung sollte nachrangig erfolgen", so die Vorsitzende der ehrenamtlichen ver.di-Bundeskommission Selbstständige (BKS), Gundula Lasch. Eine weitere Forderung ist, dass ein Tarif mit Krankengeldzahlung ab dem 43. Tag für alle Selbstständigen obligatorisch wird.

Bereits 2013 hatten Bertelsmann-Stiftung und der Verbraucherzentrale Bundesverband einen Zehn-Punkte-Plan zur Einbeziehung Selbstständiger in die GKV vorgelegt und darin festgestellt, dass es dazu einer Absenkung oder Aufhebung der Mindestbeiträge bedürfe. Eine aktuelle Studie von Bertelsmann und des Forschungs- und Beratungsinstituts für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen (IGES) kommt zu dem Ergebnis, dass bei entsprechender Veränderung der Rahmenbedingungen über 70 Prozent der gegenwärtig privat versicherten Selbstständigen in die GKV wechseln würden. Das könnten bis zu 1,1 Millionen hauptberuflich Selbstständige sein. Diese Maßnahmen würden "nicht zu einer wesentlichen Mehrbelastung für die GKV führen", heißt es in der Studie.

Soziale Sicherung verbesserungswürdig

Bislang werden Selbstständige in der Sozialgesetzgebung durchgängig als Sonderfall behandelt, teilweise vom Schutz sogar komplett ausgenommen. Dahinter steht die überholte Vorstellung, dass sie in der Regel so gut verdienen, dass sie allein für Krankheit, Alter, Auftragslosigkeit und sogar den Pflegefall vorsorgen können. Weil diese Annahme an der Realität der meisten Solo-Selbstständigen vorbeigeht, haben BKS und ver.di-Referat Forderungen an die Politik erarbeitet. "Die ärgsten Lücken bei der sozialen Sicherung Selbstständiger müssen gestopft und die vielfachen Benachteiligungen bei der Vorsorge ausgeglichen werden. Dazu gehört auch, sie in das gesetzliche Rentensystem so einzugliedern, dass sie nach einem langen Arbeitsleben vor Altersarmut geschützt sind", betont Gundula Lasch.

Die Studie von Bertelsmann-Stiftung und IGES:

www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/krankenversicherungspflicht-fuer-selbststaendige