Ausgabe 04/2017
Neues von der Finanzmafia
Wie sich der Staat um Milliardenbeträge prellen ließ
Dierk Hirschel leitet bei ver.di den Bereich Wirtschaftspolitik
In Berlin läuft noch ein großer Wirtschaftskrimi. Jahrelang plünderte ein Verbrecherring mit Steuertricks die Staatskassen. Die kriminelle Bande bestand aus Bankern, Fondsverwaltern, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Rechtsanwälten. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss befragte in 45 Sitzungen 79 Zeugen. Die Staatsanwaltschaft Köln konnte sogar einige Täter motivieren, auszupacken.
Worum geht es? Commerzbank, Hypo-Vereinsbank, LBBW & Co machten jahrelang sogenannte Cum-Ex-Geschäfte. Sie handelten Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende. Die Banken verkauften vor dem Dividendenstichtag Aktien, die sie nicht besaßen. Als die Dividende ausgeschüttet war, kaufte die Bank jene Aktien, die sie dem Käufer zugesagt hatte. Dieser Käufer, ebenfalls ein Finanzdienstleister, erhielt die Aktien somit erst einige Tage später gutgeschrieben. Solche "Leerverkäufe" sind legal. Dividenden sind steuerpflichtig. Finanzinstitute können sich diese Steuer vom Finanzamt zurückerstatten lassen. Dafür brauchen sie einen Steuerbescheid ihrer Depotbank. Zunächst bekam der ursprüngliche Aktienbesitzer diese Steuerbescheinigung. Dann stellte die Depotbank des Käufers einen zweiten Bescheid aus, obwohl er keine Steuer gezahlt hatte. Die Beteiligten ließen sich die einmal gezahlte Steuer also mehrmals erstatten. Die Beute teilten sie untereinander auf. Ein zweiter Trick der Finanzmafia waren sogenannte Cum-Cum-Geschäfte. Hier verleihen ausländische Aktionäre ihre deutschen Aktien vor Dividendenausschüttung an Finanzdienstleister, welche die Kapitalertragssteuer vom Finanzamt zurückerstattet bekommen. Letztere kassieren dann die Steuerrückzahlung und teilen sich die Beute mit dem ausländischen Verleiher. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wie KPMG und Anwaltskanzleien wie Freshfields verpassten dem kriminellen Treiben durch ihre Gutachten sogar noch einen legalen Anstrich.
Der Cum-Ex-Diebstahl verursachte einen Schaden von rund zwölf Milliarden Euro. Der Cum-Cum-Betrug beläuft sich auf geschätzte 25 Milliarden Euro. Im größten Finanzkriminalfall dieser Republik ermitteln die Staatsanwälte gegen 100 Institute. Die Bankvorstände versuchen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Sie zahlen jetzt das ergaunerte Steuergeld zurück und schließen einen Vergleich mit den Staatsanwaltschaften. Gleichzeitig leiten sie bankinterne Untersuchungen ein und suchen nach Bauernopfern.
Das kriminelle Geschäftsmodell hätte aber ohne staatliche Beihilfe nicht funktioniert. Das zeigen die Ermittlungen der Parlamentarier. Finanzministerium und Finanzaufsicht hätten bereits vor 15 Jahren von den illegalen Cum-Ex-Geschäften wissen müssen. Doch Minister, Staatssekretäre, Fachbeamte und Aufseher ignorierten die Hinweise von Mitarbeitern und Informanten. Erschwerend kam hinzu, dass Bund, Länder und Aufsicht nicht genug qualifiziertes Personal hatten und schlecht zusammenarbeiteten.
Das größte Problem war aber die enge Beziehung zwischen Finanzwelt und Politik. Im Steinbrück-Ministerium gingen die Lobbyisten ein und aus. In der zuständigen Fachabteilung saß sogar ein von den Banken bezahlter Maulwurf. Als die Finanzverwaltung das kriminelle Dividendenstripping endlich 2007 unterbinden wollte, führte die Bankenlobby das Ministerium hinter die Fichte. Der Bundesverband der deutschen Banken schrieb ein Gesetz, das lediglich auf inländische Cum-Ex-Geschäfte abzielte. Da die Steuertricks illegal waren, brauchte es aber kein neues Gesetz, sondern konsequenten Vollzug. Das Gesetz schuf vielmehr eine Scheinlegalität. Und die findige Finanzmafia führte ihre Geschäfte über das Ausland weiter.
Es dauerte weitere fünf Jahre, bis der oberste Kassenwart - jetzt Wolfgang Schäuble - den Beutezug stoppte. Den Cum-Cum-Geschäften wurde hingegen erst 2016 ein Riegel vorgeschoben. Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble weigern sich bis heute, politische Verantwortung für dieses Staatsversagen zu übernehmen. Beide haben Mitschuld an milliardenschweren Steuerverlusten. Geld, das uns heute für Kitas, Schulen und Krankenhäuser fehlt.
Das größte Wirtschaftsverbrechen der Nachkriegsgeschichte muss Konsequenzen haben. Die Macht der Lobbyisten muss beschnitten werden. Ein Lobbyregister und ein legislativer Fußabdruck - Kennzeichnung übernommener Vorschläge in Gesetzentwürfen - würden Wirtschaftsverbände zwingen, Spuren zu hinterlassen, wenn sie politisch Einfluss nehmen. Darüber hinaus müssen Finanzverwaltung und Aufsicht endlich personell besser ausgestattet werden. Nur so kann der Staat den Akteuren in den Glaspalästen auf Augenhöhe begegnen. Wichtig ist aber auch, dass unser Rechtsstaat die Finanzmafia hart bestraft.
Das größte Problem war aber die enge Beziehung zwischen Finanzwelt und Politik