Auch Dienstkleidung wird in NRW nun zu fairen Bedingungen beschafft

Gegenwärtig hat Nordrhein-Westfalen neben Bremen das fortschrittlichste Vergaberecht in Deutschland. Wenige Wochen vor den Landtagswahlen trat das Tariftreue- und Vergabegesetz mit der dazugehörigen Rechtsverordnung in Kraft. Während Einkaufsabteilungen auf Bundesebene die Einhaltung von sozialen und ökologischen Voraussetzungen verlangen "können", sind ihre Kolleg / innen in NRW bei einem Großteil der Bestellungen dazu verpflichtet. Anders als vorher haben Lieferanten außerdem nicht mehr die Möglichkeit, einfach nur zu behaupten, dass bei der Herstellung ihrer Produkte bestimmte Mindeststandards eingehalten wurden. Das bevölkerungsreichste Bundesland verlangt jetzt glaubwürdige Nachweise - und was darunter zu verstehen ist, ist ebenfalls geregelt. Die Liste der in NRW als sensibel eingestuften Produkte ist lang - und reicht von Kaffee über Polizeimützen bis bin zu Computern und anderen IT-Produkten, lobt Johanna Fincke von der Christlichen Initiative Romero. Ihre Organisation gehört zusammen mit ver.di und 45 anderen Nichtregierungs-Organisationen zum Cora-Netzwerk. Der Zusammenschluss setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Konzerne soziale und ökologische Normen in ihren Lieferketten durchsetzen.

Nach Fortschritt Rolle rückwärts?

Allein NRW kauft mit Steuergeldern jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von 50 Milliarden Euro ein. Doch sind mit der neuen Regelung noch nicht alle Schlupflöcher geschlossen. So gelten beispielsweise Rumänien und Bulgarien als unproblematische Importländer, obwohl dort nachweislich die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO immer wieder verletzt werden. Auch müssen die Beschaffer entscheiden, ob die vorgelegten Zertifikate glaubwürdig sind, was sie in manchen Fällen überfordern dürfte. Trotzdem ist die Gesetzesnovelle nach einhelliger Meinung von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen ein Fortschritt. Nach der Landtagswahl fürchten nun viele, dass es schon bald zu einer Rolle rückwärts kommen könnte: Sowohl aus der CDU als auch der FDP waren vor Verabschiedung des Gesetzes heftige Proteste zu vernehmen gewesen.

Dass eine konsequente Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung auf soziale und ökologische Kriterien funktioniert und keineswegs teurer sein muss, belegt die Stadt Dortmund. Dort gibt es seit einigen Jahren eine zentrale Einkaufsstelle. Bei der können die anderen Ämter ihren spezifischen Bedarf anmelden; für Druckerpatronen, Papier, Stühle und andere vielfach benötigte Artikel gibt es einen Katalog. So können die Bestellmengen nicht nur gebündelt und dadurch preiswerter beschafft werden. Die Mitarbeiter im Vergabezentrum kennen sich auch bestens aus mit den vielfältigen Gütesiegeln und ersparen ihren Kollegen in anderen Abteilungen mühsame Recherchen.

Praxisleitfaden erhältlich

Um schon den Auszubildenden das Thema faire Beschaffung nahe zu bringen, wurden deren Rechner in der Dortmunder Verwaltung mit fairen Computermäusen von der bayerischen Kleinfirma NagerIT ausgestattet. "Fairer Handel ist angewandte Friedenspolitik. Er bekämpft die Ursachen von Flucht, Bürgerkrieg und Verfolgung", so das von Oberbürgermeister Ullrich Sierau, SPD, formulierte Credo. Auch die gemeinsame Nutzung von Elektroautos durch mehrere Behörden ist in der Ruhrmetropole inzwischen Usus. Seinen Wissensschatz gibt die Stadt gerne weiter: Das Vergabezentrum hat einen Praxisleitfaden erarbeitet, den andere Kommunen für sich nutzen können.

Bei der Bestellung von Dienstleistungen ist die Sache allerdings seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) 2014 wesentlich schwieriger geworden. Die Richter entschieden, dass die Stadt Dortmund von den Anbietern keine Zusage verlangen durfte, einen Mindeststundenlohn von 8,62 Euro pro Stunde zu zahlen. Geklagt - und Recht bekommen - hatte die Bundesdruckerei, die einen Auftrag zur Digitalisierung von Akten in Polen abwickeln wollte. Das von Dortmund verlangte Vergabekriterium sei europarechtswidrig, so der EuGH.

Lohndumping im Flüchtlingsheim

Zweieinhalb Jahre haben sich 60 Beschäftigte der Johanniter um Geflüchtete im nordrhein-westfälischen Oerlinghausen gekümmert - dann mussten sie nach Hause gehen. Den Auftrag gewonnen hatten die DRK Betreuungsdienste Westfalen-Lippe aufgrund von Lohndumping. Anders als bei den Johannitern verdienen Beschäftigte dort keine am TVöD orientierten Tariflöhne, sondern das DRK-Tochterunternehmen zahlt nach dem Tarifvertrag des Hotel- und Gaststättengewerbes. Dabei ist klar, dass ein Großteil des Personals Sozialarbeit verrichtet und entsprechend qualifiziert sein muss, wie es auch in der Leistungsbeschreibung verlangt wurde. Die Lohndifferenz beträgt für viele Stellen über 500 Euro im Monat.

ver.di unterstützt 28 Angestellte, die auf Weiterbeschäftigung klagen. Nachdem alle Gütetermine gescheitert sind, wird ab Ende Juni die Prozesswelle losrollen. Darüber hinaus versucht die Gewerkschaft aber auch, den Unterbietungswettbewerb auf Kosten von Personal und Geflüchteten grundsätzlich zu unterbinden. So hat ver.di sowohl eine Petition an den Düsseldorfer Landtag geschickt als auch eine Erklärung mit mehreren Wohlfahrtsverbänden in NRW erarbeitet. Darin verpflichten sich die Johanniter und Malteser sowie der Träger ZOF zu fairen Arbeitsbedingungen und einer sachgerechten Bezahlung. Der Wettbewerb solle "über die Qualität der Leistung und nicht über die Höhe der Lohnkosten entschieden" werden. Beim Wechsel des Betreibers soll zukünftig das Personal des Vorgängers übernommen werden.

Nachdem zuletzt der öffentliche Druck immer größer geworden ist, hat das DRK Westfalen-Lippe inzwischen angekündigt, die Bezahlung künftig auf den mit ver.di ausgehandelten "DRK-Reformtarif" umzustellen, der sich am TVöD orientiert. "Noch ist das allerdings nicht passiert," berichtet der zuständige ver.di-Sekretär Jens Ortmann. Er fürchtet außerdem, dass das Unternehmen die Bezahlung lediglich über Arbeitsverträge regeln will, um einklagbare Ansprüche zu verhindern. "Die Einzelheiten sind noch nicht abschließend geklärt", lässt Unternehmenssprecherin Ina Ludwig wissen. Annette Jensen