Der Personalmangel wächst. ver.di fordert eine Aus- und Weiterbildungsoffensive für Erzieher/innen und die weitere Aufwertung des Berufs. Interview mit Achim Schlömer, Erzieher, freigestellter Personalrat für die Kitas der Stadt Köln

Achim Schlömer

ver.di publik Der Bundestag hat beschlossen, dass 100.000 Kitaplätze mehr eingerichtet werden. Dass sie gebraucht werden, bestreitet niemand. Doch woher kommen die Fachkräfte dafür?

Achim Schlömer - Bisher fehlen sie. Die Quantität steht für die Politikerinnen und Politiker immer noch im Vordergrund. Wie es um die Qualität der Betreuung steht, danach fragen sie nicht.

Aber beides ist ein Problem für uns. Wir haben in Köln wie in vielen anderen Großstädten steigende Geburtenraten. Außerdem ziehen immer mehr Menschen hierher. In den nächsten Jahren werden dadurch mehrere Tausend Kitaplätze allein in unserer Stadt fehlen. Gleichzeitig merken wir: Wir haben jetzt schon Schwierigkeiten, das nötige Fachpersonal zu bekommen. In unseren 228 städtischen Kitas arbeiten zurzeit etwa 4.200 Menschen, von denen übrigens mehr als 60 Prozent ver.di-Mitglieder sind.

Wir bieten Bewerberinnen und Bewerbern attraktive Rahmenbedingungen: Wir stellen sie auf unbefristeten Vollzeitstellen ein - mit der Möglichkeit, befristet in Teilzeit zu arbeiten, wenn sie wollen. Und trotzdem finden wir nicht genug neue Fachkräfte.

ver.di publik - Warum ist das so schwierig?

Schlömer - Es gibt mehrere Gründe. Ganz vorn stehen dabei die Bezahlung und zu wenige Aufstiegsmöglichkeiten. In NRW werden zwar viele Erzieher und Erzieherinnen ausgebildet, aber sie landen nach dem Fachschulabschluss leider oft nicht in einer Kita. Sie gucken sich die Gehälter und die Aufgaben an, sehen die große Verantwortung, die sie übernehmen sollen, und stellen fest, dass das nicht zusammenpasst. Dann entscheiden sie sich für einen anderen Weg, studieren beispielsweise lieber noch Sozialpädagogik oder ein anderes Fach - mit der Aussicht auf bessere Aufstiegsmöglichkeiten und höhere Bezahlung.

Ein anderer Grund: Uns fehlen Angebote für Kinderpflegerinnen, sich zur Erzieherin weiterzubilden. Viele fragen danach, es wird in Köln aber nur alle drei Jahre eine einzige neue Klasse dafür eingerichtet, mit gerade mal 25 Plätzen.

ver.di publik - Wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen aus?

Schlömer - Die Belastung der Erzieherinnen und Erzieher ist oft zu hoch. Der Alltag ist geprägt davon, dass pädagogische Planungen immer wieder umgeworfen werden müssen. Es sind zu wenige Fachkräfte da, und wenn dann noch eine Kollegin krank wird und ausfällt, reißt das eine nicht mehr auszugleichende Lücke. Und der Krankenstand steigt. Er liegt bei uns mit fast zehn Prozent jetzt schon weit über dem Bundesdurchschnitt - und wird nicht sinken. Dabei erscheinen die Kolleginnen sozusagen noch mit dem Kopf unter dem Arm zur Arbeit, weil sie wissen, wie dringend sie gebraucht werden.

ver.di publik - Wenn Personal fehlt...

Schlömer - ...sind zu viele Kinder in der Gruppe, und dann kann irgendwann nur noch die Aufsichtspflicht in den Vordergrund gestellt werden. Das geht zu Lasten der pädagogischen Arbeit. Es ist ein Teufelskreis: der hohe Anspruch der Kolleginnen und Kollegen an sich selbst, ihre Überlastung, Krankheiten und Ausfälle, das Absinken der pädagogischen Qualität, Unzufriedenheit... Sie wollen die Kinder nicht nur verwahren. Noch machen sie eine tolle Arbeit, aber das geht schon jetzt oft auf Kosten ihrer Kraft und ihrer Gesundheit. Dass sie in ihrer Freizeit Fachbücher lesen, ist sowieso klar, aber immer öfter höre ich, dass Kollegen auch die Entwicklungsdokumentationen der Kinder abends und am Wochenende mit nach Hause nehmen. Dann muss ich als Personalrat sagen: Das geht nicht. Ihr werdet für eure Arbeitszeit bezahlt - und braucht eure Freizeit. Selbstausbeutung ist nicht die Lösung.

ver.di publik - Was muss sich ändern?

Schlömer - Es müssen mehr Fachkräfte ausgebildet werden. Die Bezahlung für Erzieherinnen und Erzieher muss besser werden, um diesen wichtigen und eigentlich wunderbaren Beruf aufzuwerten. Das fängt schon bei der Ausbildung an: Die dauert nach dem Mittelschulabschluss fünf Jahre, ein Teil davon findet in der Praxis statt, also in den Kitas - und ist bis auf das Anerkennungsjahr unbezahlt. Das kann so nicht bleiben. Eines ist in unserer Arbeit doch ganz klar: Das Personal ist das A und O. Die Anforderungen steigen; die Kinder brauchen starke Fachkräfte.

Interview: Claudia von Zglinick


ver.di-Forderungen

"Die Lücke zwischen dem wachsenden Angebot an Kita-Plätzen und dem für eine sachkundige und qualifizierte Betreuung notwendigen Fachpersonal wird immer größer. Die Ausbildungskapazitäten müssen dringend aufgestockt, die Ausbildung muss attraktiver gemacht werden.

Die Arbeit mit guten Bildungskonzepten, Gesundheits- und Sprachförderung sowie die Bewältigung der Inklusion sind nur einige Aufgaben, die für die Bildung der Kinder und ihre Persönlichkeitsentwicklung wichtig sind. Damit dies gelingt, braucht es eine deutliche Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation, sie muss Vor- und Nachbereitungszeiten, Leitungsfreistellung, Qualifizierungs- und Ausfallzeiten berücksichtigen.

Ein Wettbewerb um die billigsten Löhne ist auszuschließen. Dafür ist es notwenidig, die Einrichtungen finanziell so auszustatten, dass unabhängig von der Trägerschaft eine tarifgerechte Entlohnung auf dem Niveau des öffentlichen Dienstes ermöglicht wird.Auf keinen Fall dürfen die qualitativen Anforderungen an die Arbeit in den Kitas gesenkt werden."

Wolfgang Pieper, ver.di-Bundesvorstand