Ausgabe 01/2018
Die Nachwelt wird staunen
"Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen", erklärt Regierungssprecher Steffen Seibert zur neuesten Blamage der Autoindustrie. "Oder sogar Menschen" ist gut. Von den düsteren Erinnerungen abgesehen, die industrielle Begasungsexperimente wachrufen, der Laborskandal ist nichts im Vergleich zu dem riesigen Freilandversuch, der seit einem Jahrhundert mit Verbrennungsmotoren unternommen wird. Die Nachwelt wird nicht wenig staunen über die Absurdität eines Verkehrssystems, das zur methodischen Ausschöpfung fossiler Ressourcen, Verunstaltung der Städte und Zerstörung des Klimas erheblich beitrug. Ja, sogar Menschen werden geopfert, und zwar nicht nur die jährlichen 3.000 Verkehrstoten auf deutschen Straßen. Laut Deutscher Umwelthilfe sind im letzten Jahr 12.860 Menschen durch das Abgasgift Stickstoffdioxid frühzeitig gestorben, ein Fünftel mehr als noch 2016. Oder statistisch anders ausgedrückt: Der Diesel-Motor hat hierzulande 133.800 Lebensjahre vernichtet.
Die Überlebenden mögen sich mit der Mobilität trösten, die ihnen die Dreckschleudern bieten, doch selbst dieser Vorteil nimmt tendenziell ab. Nach aktueller Statistik steckt der durchschnittliche deutsche Autofahrer über 40 Stunden pro Jahr im Stau, Tendenz steigend. Hinzu kommt die Parkplatzsuche, die ihn weitere 41 Stunden kosten (in Frankfurt am Main gar 65). Zusammengenommen sind es mindestens sechs Monate seiner Lebenszeit, die auf diese zermürbende Weise vergeudet werden. Von der Arbeitszeit nicht einmal zu sprechen, die für die Finanzierung der Fahrerei erforderlich ist. Bisher konnte sich die Autolobby mit dem Argument rechtfertigen, der Diesel sei für die starke Exportwirtschaft unerlässlich. Doch sind diese Zeiten vorbei. Bereits sechs Länder, darunter China und Indien, haben angekündigt, Verbrennungsmotoren in Kürze ganz zu verbieten. Dagegen hilft keine Gaunerei. Das Experiment ist gescheitert.
Guillaume Paoli