80 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland haben Schlafprobleme

Die Zahl derer, die über zu wenig oder schlechten Schlaf klagen, ist rasant gestiegen. Vor allem bei Berufstätigen nehmen Schlafprobleme zu

Die Kollegin kam letztens völlig fertig ins Büro. Ihr Hund hatte sie um 5 Uhr morgens – oder ist das noch nachts? – durch Würgegeräusche aus dem Schlaf gerissen. Dabei war sie erst nach Mitternacht ins Bett gegangen. Verflixtes Netflix. Der Hund entledigte sich schließlich eines verschluckten Plastespielzeugs und schnarchte längst wieder zufrieden, während sie noch den Fußboden wischte. Für die Kollegin war die Nacht damit zu Ende.

Weinende Kleinkinder, schnarchende Partner – einiges kann einen um den Schlaf bringen. Licht, Lärm, Raumtemperatur, falsche Ernährung, Alkohol, Nikotin und vieles mehr können den Schlafrhythmus stören. Hoch oben in der Liste der Risikofaktoren für Schlafstörungen steht aber laut zahlreichen Studien und Untersuchungen Arbeitsstress. Starker Termin- und Leistungsdruck, Überstunden, Nachtschichten und ständige Erreichbarkeit nach Feierabend werden hier genannt.

Schlafmangel macht krank

Wer häufig an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit arbeite, heißt es im Gesundheitsreport 2017 der DAK, steigere sein Risiko, die schwere Schlafstörung Insomnie zu entwickeln. Jeder zehnte Arbeitnehmer leide bereits daran. „Deutschland schläft schlecht – ein unterschätztes Problem“, betitelte die DAK daher auch ihren Report. Die Studie der Krankenkasse ergab, dass immer mehr Menschen in Deutschland Probleme beim Ein- und Durchschlafen haben – vor allem Berufstätige. Seit 2010 sind die Schlafstörungen bei Berufstätigen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren um 66 Prozent angestiegen. Von Schlafproblemen fühlen sich laut der Studie 80 Prozent der Beschäftigten betroffen – auf die Bevölkerung hochgerechnet etwa 34 Millionen Menschen.

Auch die Techniker Krankenkasse (TK) stellt einen Anstieg der Schlafprobleme fest. Insbesondere Schichtarbeiter, aber auch Menschen, die ab und zu in der Nacht arbeiten müssen, klagen über schlechte Schlafqualität, ergab die TK-Schlafstudie 2017. Gegen die innere Uhr zu arbeiten, kostet Energie und wirkt sich negativ auf die Schlafqualität aus. Von diesen „Flex-Beschäftigten“ – rund 30 Prozent der Beschäftigten in Deutschland – schlafen 37 Prozent nur vier bis fünf Stunden oder noch weniger pro Nacht. Dabei sind sechs Stunden das absolute Minimum, wie Gesundheitsexperten empfehlen.

Professor Ingo Fietze, Schlafmediziner an der Berliner Charité und Autor des aktuellen Buches „Die übermüdete Gesellschaft“, warnt davor, regelmäßige Schlafdefizite auf die leichte Schulter zu nehmen. Wer chronisch weniger als sechs Stunden schlafe, leide an Schlafmangel. Und der mache krank.

Muskelverspannungen, Rückenschmerzen, Osteoporose und Beschwerden im Magen-Darmtrakt werden mit einem Schlafdefizit in Verbindung gebracht. Eine chronische Schlafstörung erhöht zudem das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Die Lebenserwartung sinkt. Wer schlecht oder dauerhaft zu wenig schläft, hat auch ein höheres Risiko psychisch zu erkranken, etwa an Depressionen und Angststörungen. Einig sind sich die Wissenschaftler, dass ausreichend Schlaf unverzichtbare Grundlage für Entwicklung, Wohlbefinden und die physische und psychische Gesundheit ist.

Was im Schlaf passiert

Im Schlaf wechseln sich unterschiedlich tiefe Phasen immer wieder ab, in denen sich Körper und Geist regenerieren. Im Tiefschlaf erholt sich der Körper. Beschädigtes Gewebe wird repariert, der Stoffwechsel reguliert. In der Traum-Phase, auch REM-Phase genannt, findet die geistige Erholung statt. Wichtige Informationen werden im Schlaf geordnet und gespeichert, überflüssige werden entsorgt. Die Informationsverarbeitung ist auch für das Lernen unerlässlich. Denn im Schlaf wird das über den Tag Gelernte im Gedächtnis verankert und ist am nächsten Tag besser abrufbar.

Ausreichend langer Schlaf verlangsamt Alterungsprozesse und verringert das Risiko, übergewichtig zu werden. Zudem wird im Schlaf das Immunsystem gestärkt – es schüttet nachts besonders viele immunaktive Stoffe aus. Wer viel schläft, stärkt also seine Abwehrkräfte.

In der Umkehrung verringert sich bei Schlafmangel die Gedächtnisleistung, und das Konzentrationsvermögen verschlechtert sich. Wer zehn Nächte hintereinander nur sechs Stunden schläft, fand der Chronobiologe Christian Cajochen von der Universität Basel heraus, befindet sich, was Leistungsvermögen, Reaktionsgeschwindigkeit, Gedächtnis und Urteilskraft angeht, in einem Zustand, als hätte er ein Promille Alkohol im Blut.

Medienkonsum raubt den Schlaf

Cajochen schreibt auch dem Farbspektrum von Computer-, Tablet- und Smart-phonebildschirmen einen Schlaf-Störfaktor zu – genauer gesagt, dem hohen Anteil von blauem Licht. Der führe dazu, dass die Bildung von Melatonin im Körper verlangsamt wird. Das Hormon sorgt aber dafür, dass der Mensch müde wird und einschläft.

Das Smartphone erweist sich unter den mobilen Geräten als größter Störfaktor. Bei jedem Zehnten der befragten Erwachsenen der TK-Studie liegt das Smartphone auf dem Nachttisch oder unter dem Kopfkissen. Bei den Unter-30-Jährigen stört das Handy sogar bei jedem Fünften den Schlaf.

Dem „Risikofaktor Medienkonsum“ widmet auch Schlafmediziner Fietze ein Kapitel in seinem Buch. Viele Ursachen für Schlafstörungen seien selbstgeschaffen: zu spätes Zubettgehen, zu frühes Aufstehen, zu viel Internetaktivität im Schlafzimmer, zu viel Arbeitsmail-Checken nach Feierabend. Der Schlafexperte hält das für ein breit unterschätztes gesellschaftliches Problem. „Diese Verhaltensweisen machen aus gelegentlichen Schlafstörungen chronische – und den Menschen krankheitsanfällig, depressiv, dick und unkonzentriert“, schreibt Ingo Fietze.

Schlafhygiene hilft

Auch wenn sich immer mehr Menschen aufgrund von Schlafstörungen krank melden – laut DAK stiegen die dadurch verursachten Fehltage seit 2010 um rund 70 Prozent –, versucht die große Mehrheit allein mit den Schlafproblemen zurechtzukommen. Lediglich 4,8 Prozent der Erwerbstätigen waren laut DAK im Jahr 2016 deswegen beim Arzt. Fast die Hälfte der Erwerbstätigen sei bei der Arbeit müde, etwa ein Drittel regelmäßig erschöpft. Gut ist das weder für die Beschäftigten noch für die Unternehmen.

Was Abhilfe schaffen kann, sind ausreichende Ruhezeiten für die Beschäftigten und Möglichkeiten zum Mittagsschlaf oder sogenanntem Powernapping. „Die Schlaf- oder Nap-Kultur muss verbessert werden“, sagt Fietze. Betroffene können aber auch selbst viel dazu beitragen, dass sie gut durch die Nacht kommen. Gewohnheiten und Umstände, die den gesunden Schlaf fördern, bezeichnen

Experten als Schlafhygiene. Die Gestaltung der Schlafumgebung – Raum gut durchlüften und abdunkeln, äußere Störfaktoren minimieren –, Schlafrituale oder Entspannungstechniken und regelmäßige Aufsteh- und Ins-Bettgeh-Zeiten gehören dazu.

Fietze rät außerdem zur „Screentime“: Erwachsene sollen sich eine halbe Stunde, bevor sie ins Bett gehen, von allem offline schalten, Kinder mindestens eine Stunde vorher. „Im Bett haben Handy und Tablet nichts zu suchen.“

Wie schwer das sein kann, wissen wir alle. Zum Glück kann man Schlaf aber nachholen. Das sagt zumindest Fietze. Wer in der Woche zu wenig geschlafen hat, könne den Schlaf am Wochenende nachholen. Mit Kleinkindern oder Haustieren kann aber selbst das schwierig werden.