Beim betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz haben Arbeitnehmervertretungen nicht nur ein Wörtchen mitzureden, sie können auch erheblich mitbestimmen. Das Arbeitsschutzgesetz von 1996 schreibt Arbeitgebern vor, gesundheitliche Gefährdungen im Betrieb zu ermitteln und zu verringern. Auf dem Weg dahin sind Betriebsräte zu beteiligen, die zudem selbst aktiv werden und mit dem Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz aushandeln können. Gewerkschaften können darüber hinaus Tarifverträge zum Schutz der Beschäftigten vereinbaren.

Als „Meilenstein für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Krankenhaus“ bezeichnete Meike Jäger vom ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg vor zwei Jahren den damals abgeschlossenen Tarifvertrag zu Gesundheitsschutz und Mindestbesetzung beim Berliner Universitätsklinikum Charité. Erstmals wurden dort Personalstandards für die Pflege festgelegt. Doch im Sommer 2017 kündigte ver.di den Tarifvertrag, weil die Regelungen nicht eingehalten wurden. Im September folgten Streiks, im Oktober wurde nachjustiert: Die vereinbarten Mindestbesetzungen sollten der Schichtplanung zugrunde gelegt werden. Klappe das nicht, so Carsten Becker, ver.di-Betriebsgruppensprecher Charité, müssten zusätzliche Pflegekräfte aus einem Pool oder von Leiharbeitsfirmen eingesetzt werden. Funktioniere auch das nicht, seien Einschränkungen der Leistungen die Folge. Monate nach dieser Vereinbarung verhandeln Arbeitgeber und ver.di-Tarifkommission weiter über die Modalitäten.

Andere Tarifkommissionen hätten aus den Problemen mit diesem Tarifvertrag gelernt, sagt Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für den Fachbereich Gesundheit und soziale Dienste. So hat ver.di mittlerweile einen Tarifvertrag zur Entlastung des Pflegepersonals für die Unikliniken in Baden-Württemberg abgeschlossen. Der gilt zunächst „auf Bewährung“ für ein halbes Jahr. Der Tarifvertrag beinhaltet die Einführung von Personalbemessungsverfahren und Regel- besetzungen, mindestens 120 neue Stellen, „keine Nacht alleine“ und die Einführung eines verbindlichen Ausfallmanagements. Maßnahmen, die dringend not- wendig sind, so Bühler: „Nur mit deutlich verbesserten Bedingungen können Pflegekräfte zur Rückkehr motiviert werden, die auf Teilzeit gegangen oder aus dem Beruf geflüchtet sind.“

Oft ein langer Prozess

Bei der zur Helios-Gruppe gehörenden Ostseeklinik Damp erreichte der Betriebsrat 2016 einen Erfolg: Die von der Arbeitnehmervertretung angerufene Einigungsstelle beschloss im Dezember 2016 gegen den Willen des Arbeitgebers eine Betriebsvereinbarung zum Gesundheitsschutz. Darin ist genau festgelegt, wie viele examinierte Pflegekräfte in den verschiedenen Schichten auf den Stationen der Fachklinik für Orthopädie arbeiten müssen.

„Die Gesundheitsbelastung war untragbar, wir mussten etwas tun“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Udo Strubbe. Helios hatte nach der Übernahme des Krankenhauses 2012 massiv Personal abgebaut. Gleichzeitig schwankten die Patientenzahlen. Vorschläge des Betriebsrates und von Experten zur besseren Planung ignorierte die Klinikleitung. Die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte wuchs stark. Eine schriftliche Befragung durch den Betriebsrat ergab eine sehr hohe psychische Belastung. So begann die Interessenvertretung den Dienstplänen des Arbeitgebers zu widersprechen und rief schließlich die Einigungsstelle an – mit dem Ergebnis einer Betriebsvereinbarung. „Es war ein Prozess, der sich über mehr als dreieinhalb Jahre hingezogen hat“, sagt Strubbe.

Inzwischen droht die Vereinbarung wieder zu kippen. Im Juli 2017 bestätigte das Kieler Arbeitsgericht zunächst die Rechtmäßigkeit der Betriebsvereinbarung, gegen die der Arbeitgeber geklagt hatte. Zwar bedeute die Vereinbarung einen „Eingriff in die unternehmerische Freiheit“, was aber zulässig sei, um das Recht der Beschäftigten „auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen“ zu schützen. Im Mai dieses Jahres kassierte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein jedoch diese Entscheidung: Die nächsthöhere Instanz gelangte zu der Einschätzung, die Einigungsstelle habe mit der Betriebsvereinbarung „formal ihre Kompetenz“ überschritten, da sie nicht zu entscheiden habe, ob eine Gefährdung vorliege oder nicht. Gegen diesen Beschluss kann nun Beschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.

Generell sei es für die Arbeitnehmerseite nicht leicht, Personalmehrbedarf nachzuweisen, stellt Horst Riesenberg-Mordeja fest, Experte für Arbeitsschutz bei ver.di. „Da muss dann erst einmal verhandelt oder arbeitswissenschaftlich belegt werden, ab welchem Verhältnis von Pflegekraft zu Patient eine Überlastung vorliegt. Es fehlen hier die von ver.di geforderten gesetzlichen Personalvorgaben, die diese leidige Diskussion durch Orientierungswerte einschränken könnten.“ Der Bundesgesetzgeber hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Krankenversicherungen beauftragt, Personaluntergrenzen in der Pflege zu vereinbaren und dabei auch Gewerkschaften und Patientenorganisationen zu beteiligen. Dabei ist bisher allerdings nichts Positives herausgekommen.

Balance zwischen Arbeit und Privatem

Auch andere arbeits- und gesundheitspolitische Ziele sind verhandelbar. „Im Tarifvertrag kann es um die Gestaltung von Arbeitszeiten, die stärkere Einflussnahme auf Leistungsbedingungen, eine bessere Balance zwischen Arbeit und Privatem, aber auch um Fragen der Weiterbildung gehen“, sagt Sylvia Skrabs von der tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei ver.di. Auf die Weiterbildung der Führungskräfte setzt ein Tarifvertrag, den der ver.di-Fachbereich Handel Ende März mit der Modekette Primark abgeschlossen hat. Führungskräfte sollen dazu qualifiziert werden, die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen und zu fördern. Insoweit wirke sich dieser Tarifvertrag, so ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger und zuständig für den Handel, „unmittelbar auf die Lebensqualität aller Primark-Beschäftigten aus“.

Um bessere Kommunikation und Koordination geht es in einem Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz beim IT-Unternehmen IBM, den ver.di 2015 abgeschlossen hat. Unter anderem sind dort dienstlicher Mailverkehr und Telefonate außerhalb der Arbeitszeiten untersagt worden. Auch im Bereich der Banken, der Post AG, der Telekom und von Nahverkehrsunternehmen wurden in den letzten Jahren Tarifverträge bzw. Vereinbarungen zu arbeits- und gesundheitspolitischen Themen abgeschlossen. Beschäftigte tun in jedem Fall gut daran, gesunde Arbeit mitzugestalten.