Ausgabe 05/2018
Das Soll ist voll
Als die Gesundheitsminister tagten, wurde in der Uniklinik Düsseldorf gestreikt
Bereits etliche Tage vor Monatsende müssten die Krankenhäuser in Deutschland schließen, wenn sie eine gute Patientenversorgung mit einer angemessenen Schichtbesetzung gewährleisten wollten. Demnach hätten die Beschäftigten ihr Soll beispielsweise am 24. Mai und im Folgemonat bereits am 25. Juni erfüllt. Das geht aus einer Erhebung hervor, die ver.di bundesweit in Krankenhäusern vorgenommen hat. Im Ergebnis müssten mindestens 22 Prozent mehr Stellen für eine gute Versorgung geschaffen werden. „Der Belastungs-Check belegt einmal mehr, dass die Personaldecke erschreckend kurz ist“, sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Die Beschäftigten seien mit ihren Diensten eigentlich durch, wenn der Monat noch gar nicht rum ist.
Rund 600 Stationen, in denen 13.000 Pflegefachkräfte arbeiten, haben bei der Befragung mitgemacht. Die beteiligten Teams haben eine Schichtbesetzung mit der Anzahl an Beschäftigten notiert, die sie für notwendig erachten, um die Patienten gut versorgen zu können. Dann haben sie die Soll-Zahlen mit dem Ist-Stand, dem vorhandenen Personal, abgeglichen und die erhebliche Differenz ermittelt. Um das aufzufangen, lassen sich die Pflegekräfte regelmäßig aus dem Frei holen, verzichten auf Pausen, rennen und hetzen sich ab und ersetzen so tagtäglich die fehlenden Kollegen/innen. „Das System funktioniert nur, weil die Beschäftigten über ihre Belastungsgrenze gehen und mit hohem persönlichen Einsatz versuchen, den Personalmangel auszugleichen. Sie werden regelrecht verschlissen“, so Bühler.
Politik muss handeln
Nicht nur in Krankenhäusern, auch in der Altenpflege fehlt es an Personal. 13.000 neue Stellen will Gesundheitsminister Jens Spahn, CDU, in einem Sofortprogramm schaffen. Doch das reicht nicht, um den akuten Mangel zu beheben, findet ver.di. Um den politischen Druck zu erhöhen, hatte die Gewerkschaft zu Protesten rund um die Gesundheitsministerkonferenz der Länder am 20. Juni in Düsseldorf aufgerufen. Über 4.000 Demonstranten kamen. Ein klares Signal an die Politik. Unter dem Motto „Mehr von uns ist besser für alle“ forderten die Beschäftigten aus Krankenhäusern und der Altenpflege eine deutliche Aufstockung des Personals, bundesweite gesetzliche Vorgaben für die Personalausstattung und Sofortprogramme zur kurzfristigen Entlastung wie bessere Bezahlung und keine befristeten Arbeitsverträge mehr.
Streiken für tarifliche Entlastung
An vielen Kliniken haben die Beschäftigten inzwischen das Vertrauen in politische Lösungen verloren und wollen ihre Entlastung per Tarifvertrag sichern. Zwar erkennen die Klinikleitungen den Bedarf durchaus an, aber die Verhandlungen sind überall schwierig. Die Geduld der Beschäftigten ist am Ende, das zeigten sie mit Warnstreiks. Im Juni streikten sie unter anderem an den Unikliniken in Düsseldorf und Homburg im Saarland, am Städtischen Klinikum in Brandenburg/Havel und an der Universitätsklinik Essen. Und die Streiks werden weitergehen.
Ein 100-Tage-Ultimatum der Beschäftigten in Homburg ließ die Klinikleitung verstreichen, ohne für Entlastung zu sorgen. Stattdessen versuchte sie, den zweitägigen Warnstreik im Juni mittels einstweiliger Verfügung durch das 700 Kilometer entfernte Arbeitsgericht in Berlin untersagen zu lassen – und scheiterte. Ähnlich festgefahren ist die Situation in Essen und Düsseldorf. Auch hier wollen die Arbeitgeber nicht verhandeln, zeigen keine Bereitschaft, zeitnah und verbindlich Personaluntergrenzen zu vereinbaren. Statt in ernsthafte Verhandlungen einzusteigen, verweisen beide Vorstände auf die Mitgliedschaft in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die verhandeln soll.
Wie es insgesamt besser gehen kann, machen die vier baden-württembergischen Unikliniken Ulm, Tübingen, Heidelberg und Freiburg vor. Dort gibt es seit einigen Monaten einen Tarifvertrag Entlastung. Und anders als beim ersten Gesundheitstarifvertrag an der Charité in Berlin, haben dort die Beschäftigten nun auch die Möglichkeit zu reagieren, wenn Personal fehlt. Dann kann der vereinbarte Frieden schnell wieder platzen.