Mit ihrer Bildungsarbeit will ver.di Menschen dabei unterstützen, ihre eigenen Interessen in die Hand zu nehmen und auch durchsetzen zu können

Dieses Team schafft im ver.di-Bildungszentrum „Buntes Haus“ in Bielefeld eine gute Atmosphäre für die Seminarteilnehmer/innen

ver.di publik – Erinnerst Du Dich noch an Dein erstes Gewerkschafts-Seminar?Christoph Meister – Während meines Jurastudiums habe ich gewerkschaftliche Seminare besucht, im Zuge meiner Spezialisierung auf Arbeitsrecht. Das war ein ehrenamtlicher Arbeitskreis Rechtsschutz, das war toll. Dieser Arbeitskreis hat den Grundstein dafür gelegt, wie ich mich später beruflich orientiert habe. ver.di publik – Was hat Dich an diesen Seminaren so angesprochen?Meister – Ich fand den Umgang miteinander angenehm. Die konsequente Sichtweise aus Arbeitnehmersicht war für mich neu und total reizvoll. Schon damals fand ich die methodische Herangehensweise spannend. Von der Uni kannte ich nur Frontalbeschallung, dort gab es Arbeitsgruppen. Klasse fand ich auch, dass es so viel Input gegeben hat von ehrenamtlichen Praktiker/innen. Das hat mich angesprochen.ver.di publik – Aus heutiger Sicht: Was zeichnet gewerkschaftliche Seminare aus?Meister – Wir haben ein buntes Spektrum von Teamerinnen und Teamern. Es reicht von ehrenamtlichen Praktiker/innen, Wissenschaftler/innen bis hin zu Jurist/innen. Wir bieten auch ihnen eine ständige Fortbildung an, damit sie fachlich und methodisch immer auf dem neuesten Stand sind. Der praktische Nutzen steht bei unseren Seminaren im Vordergrund, strategisches Wissen und taktisches Vorgehen werden vermittelt. Unsere Bildungsarbeit stärkt die Menschen und soll sie dabei unterstützen, ihre eigenen Interessen in die Hand zu nehmen und durchzusetzen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal unserer Seminare

Christoph Meister *

ver.di publik – Worauf legt ver.di dabei großen Wert?Meister – Die Teilnehmer/innen sollen sich bei uns wohlfühlen und eine Atmosphäre vorfinden, in der sie sich trauen, Fragen zu stellen und infrage zu stellen. Oft treffen Menschen aus unterschiedlichsten Berufsgruppen aufeinander. Das Feedback der Teilnehmer/innen ist durchweg positiv. Sie finden es gut, nicht nur in ihrer bekannten Erfahrungswelt zu bleiben, sondern zu erleben, wie es in anderen Branchen zugeht. Sie lernen voneinander und erleben, dass ihre Probleme häufig ähnliche sind – und erfahren von erfolgreichen Praxisbeispielen. Unabhängig von Herkunft, Beruf, Religion oder Geschlecht. Das verbindet und motiviert.ver.di publik – Was sind Kritikpunkte der Teilnehmenden?Meister – Vereinzelt werden die individuellen Erwartungen nicht erfüllt und es gibt auch mal Unzufriedenheit mit dem Seminarort. Aber generell haben wir eine sehr hohe Zufriedenheit.ver.di publik – Kommerzielle Anbieter locken mit Schulungen in Städten oder an attraktiven Orten wie der Ostsee. Kann ver.di da mit ihren Bildungszentren mithalten?Meister – Wir verfügen über neun Bildungszentren. Neben professionellen Seminar- und Tagungsmöglichkeiten für große und kleine Gruppen gibt es ausgezeichnete Möglichkeiten, Bildung, Kultur und Erholung zu einem anregenden Aufenthalt zu verknüpfen. Wir überprüfen und modernisieren die Bildungszentren ständig weiter. Wir haben teilweise ein außergewöhnliches Speiseangebot, bieten auch vegane oder vegetarische Gerichte und haben viele Freizeitangebote. Unser Bildungszentrum „Clara Sahlberg“ hier in Berlin am Wannsee ist stadtnah. Andere liegen in landschaftlich reizvollen Regionen wie Brannenburg in der Nähe der bayerischen Berge oder Walsrode und Undeloh in der Lüneburger Heide.

ver.di publik – Ist es noch zeitgemäß, sich eine Woche lang fern von der Familie und dem Arbeitsplatz weiterzubilden? Meister – Unsere Erhebungen zeigen große Zufriedenheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sich fünf Tage so fortbilden zu können. Es ist unser Standardformat, aber bei weitem nicht das einzige Angebot. Wir haben kürzere Seminarformate in Abhängigkeit vom Thema und für diejenigen, die nicht so können oder wollen. Auch bieten wir bei Bedarf Kinderbetreuung an. ver.di publik – Wie nutzt ver.di die Möglichkeiten der Digitalisierung?Meister – Wir bauen digitale Lernformate in unsere Seminare ein, glauben aber daran, dass der Kern das persönliche Zusammentreffen, das gemeinsame Fortbilden bleiben wird. ver.di publik – Gerade ist das ver.di-Bildungsprogramm für 2019 erschienen. Wie kann ver.di bei einem solch langen Vorlauf auf aktuelle Entwicklungen reagieren? Meister – Das Bildungsprogramm 2019 deckt in großem Umfang Standardthemen und Fortbildungen ab. Diese werden kontinuierlich weiterentwickelt. Es ist bei uns gelebter Bildungsalltag, dass wir immer zu aktuellen Themen Bildungsformate anbieten und auf konkrete Bedarfe sowie Anforderungen umgehend reagieren. Das hat sich jüngst gerade bei der Datenschutzgrundverordnung gezeigt. Unsere Bildungsträger sind darauf eingestellt, sofort zu reagieren. Das ist ein Vorteil unserer Größe. Wir haben die Kapazitäten dafür und wir haben für alle Themen Expertinnen und Experten.

ver.di publik – Gehen diese Angebote auch über das jetzt veröffentlichte Bildungsprogramm hinaus?Meister – Ja. Hinzu kommt, dass ein erheblicher Teil unserer Seminare Inhouse-Seminare sind. Sie kommen über den unmittelbaren Kontakt mit Interessenvertretungen zustande. Sie melden kurzfristig und aus aktuellem Anlass ihren Bedarf an, und unsere Bildungsträger organisieren die Seminare dazu. ver.di publik – Stehen die Inhouse-Schulungen nicht im Widerspruch zu der Stärke durch Vielfalt, für die ver.di bei ihrer Gründung angetreten ist?Meister – Inhouse-Seminare bieten sich beispielsweise für die Teamentwicklung bestimmter Gremien an, wenn die Arbeit reflektiert oder die strategische Ausrichtung eines Gremiums neu diskutiert wird. Darüber hinaus empfehlen wir jedem Betriebs- oder Personalrat, sich regelmäßig fortzubilden und dazu unser Seminarangebot zu nutzen. Miteinander kombiniert stellt das keinen Widerspruch, sondern eine gute Ergänzung dar.ver.di publik – Neben Angeboten für die Mitglieder von Interessenvertretungen und für die Schulungen von Ehrenamtlichen werden bei Bildungsurlauben auch politische Seminare angeboten. Wie wichtig ist die politische Bildung für ver.di?Meister – Sie hat bei uns einen ganz hohen Stellenwert. Keine andere Gewerkschaft hat ein so vielfältiges und umfassendes politisches Bildungsangebot. Wir haben die Themenvielfalt in den letzten Jahren verbreitern können. Gerade angesichts der aktuellen problematischen politischen Entwicklungen sind gesellschaftspolitische Seminare essentiell wichtig. ver.di publik – Inwieweit tragen die Bildungsangebote von ver.di auch zur Mitgliederwerbung und der Mitgliederbindung bei?Meister – Gerade nach einem Seminarbesuch sind viele Kolleg/innen sehr stark motiviert und sprechen bislang unorganisierte Kolleg/innen an oder bringen sich selbst gewerkschaftlich aktiv ein. Wir arbeiten gerade an der Seminarreihe „Aktiv in ver.di“. Sie orientiert sich stark an den Strukturen der kollektiven Betriebs- und Tarifarbeit, die im Rahmen des Prozesses „ver.di wächst“ in ver.di verankert werden. Damit gehen wir 2019 an den Start. Die Seminare richten sich an Aktive, an Vertrauensleute oder Mitglieder in Tarifkommissionen und Vorstände aller Fachbereiche. Damit wollen wir erfolgreiches und selbstbewusstes gewerkschaftliches Auftreten in den Betrieben und Dienststellen unterstützen und die betriebliche Arbeit noch erfolgreicher machen. Interview: Heike Langenberg* Christoph Meister ist im ver.di-Bundesvorstand unter anderem für Gewerkschaftliche Bildung und Bildungszentren zuständig