Nein, seit dem NSU-Skandal kann einen nichts mehr überraschen. Nachdem die Ermittler wichtige Akten schredderten und Spuren beseitigten, nachdem bekannt wurde, dass Mordhelfer als V-Leute tätig waren, nachdem der Verfassungsschutz die Aufklärung des Terrornetzwerks systematisch behinderte und schließlich: Nachdem gegen die Öffentlichkeit 120 Jahre Wahrheitsentzug verhängt worden sind – für diese lange Zeit hat der hessische Verfassungsschutz einen internen Bericht gesperrt – da wissen wir: Etwas ist faul in den Sicherheitsorganen. Die einzige Frage, die sich noch stellt, ist: Wer infiltriert wen und zu welchem Zweck? Darum zucken wir nur noch mit den Achseln, wenn ein Mitarbeiter des Landeskriminalamtes, LKA, mit Pegida demonstriert und Journalisten anpöbelt, oder wenn die gegen Antifa-Demonstranten so tatkräftige Polizei plötzlich überrascht und überfordert ist, wenn sich in Chemnitz Rechte austoben. Das sind zu erwartende Symptome einer gefährlichen, anhaltenden Nachbarschaft. Manche trösten sich mit der Annahme, es gehe dabei nur um eine sächsische Eigenheit. Aber ähnliches läuft auch im Westen. Und nicht nur in rechtspopulistischen Milieus. Jetzt haben Journalisten herausgefunden, dass ein vom LKA Nordrhein-Westfalen geführter V-Mann den Islamisten Amis Amri zu seiner tödlichen Fahrt über den Berliner Weihnachtsmarkt angestachelt haben soll. Die mit Staatsgeldern bezahlte „Vertrauensperson“ habe um „einen zuverlässigen Mann für einen Anschlag mit einem Lkw“ geworben. Und wieder stellte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz gegen die Aufdeckung dieses hanebüchenen Tatbestands quer. Es sollte laut BfV-Präsidenten „weiteres Hochkochen der Thematik unterbunden werden“. In diesem Zusammenhang erscheint die gegenwärtige Forderung nach einer Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz als ziemlich skurril. Sollen sie sich selbst ausspionieren? Wird die Überwachung während der Arbeitszeit oder nach Feierabend erfolgen? Bestünde dann nicht für besorgte Bürger die Gefahr einer Anstiftung zu Gewaltakten? Vor allem: Falls wir ihn überhaupt noch brauchen, wer überwacht den Verfassungsschutz?

Guillaume Paoli