Dierk Hirschel leitet den Bereich Wirtschaftspolitik bei ver.di

Konzerne zahlen immer weniger Steuern. Die Vorstände können sich bei der Politik bedanken. Seit der Jahrtausendwende senkten die Finanzminister die Gewinnsteuern. Der mittlere Steuersatz auf Firmenprofite fiel weltweit von 50 Prozent im Jahr 1985 auf 24 Prozent 2018. Niedrige Steuersätze sind aber nur die halbe Wahrheit. Fast nirgendwo zahlen die Konzerne die vollen Steuern. Die Multis tricksen und täuschen. Ihre tatsächliche Steuerlast liegt weit unter den gesetzlichen Tarifen. In der EU überweisen Amazon, Apple, BASF, Ikea & Co nur noch 2 bis 16 Prozent ihrer Gewinne an die Finanzämter. Damit zahlen die Großunternehmen weniger Steuern als ihre kleinen und mittleren Konkurrenten. Die legale und illegale Steuerflucht kostet die Europäische Union jährlich 160 bis 190 Milliarden Euro. Unmittelbare Folge der Steuermindereinnahmen sind marode Straßen und Brücken, Erzieherinnen- und Lehrermangel sowie unterfinanzierte Krankenhäuser. Gleichzeitig müssen Beschäftigte und Verbraucher für die Verluste an Unternehmenssteuern in die Bresche springen.

Nach der Finanzmarktkrise konnten die Kassenwarte jedoch keine Steuergeschenke mehr verteilen. Die Unternehmen setzten aber ihre aggressive Steuervermeidung fort. Konzerne, die Gemeinwesen um Steuern prellen wollen, hängen in Delaware, Jersey oder Luxem-burg Briefkästen auf. Globale Unternehmen verschieben 40 Prozent ihrer Gewinne in Steueroasen. Allein die deutschen Börsenschwergewichte besitzen dort rund 2.500 Firmenbeteiligungen. Ein weiterer beliebter Steuertrick: Die Firmen manipulieren ihre Verrechnungspreise. Der Großteil des Handels findet heute in internationalen Konzernen statt. Die Unternehmen bewerten ihre grenzüber-schreitenden Geschäfte mit internen Verrechnungspreisen. Eine Konzerntochter mit Sitz in einem Niedrigsteuerland bekommt dann sämtliche Marken-, Lizenz-, und Patentrechte übertragen. Sie verlangt von einer Tochtergesellschaft im Hochsteuerland hohe Nutzungsgebühren. Folglich schrumpft der Gewinn im Hochsteuerland und der Profit im Niedrigsteuerland steigt.

Das gleiche Spiel funktioniert mit Krediten und Zinszahlungen. Dabei nimmt die Tochter im Hochsteuerland bei einer Konzernniederlassung im Niedrigsteuerland einen Kredit auf. Hohe Zinszahlungen reduzieren dann den Gewinn im Land hoher Steuern. Darüber hinaus haben große Internetkonzerne keine Betriebsstätten und versteuern ihre Gewinne in Dublin und Luxemburg. Ferner nutzen Konzerne Bewertungsunterschiede, Finanzinstrumente und Doppelbesteuerungsabkommen, um ihre Steuerzahlungen zu reduzieren. Die Verschleierung der konzerninternen Zahlungsflüsse hilft dabei. Spätestens nach den Enthüllungen der Panama- und Paradise-Papers wird dieser Steuerbetrug aber gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert. Die Regierungen stehen unter Druck. Deswegen gingen die 20 führenden Industrieländer (G20) vor sechs Jahren erstmals gegen die Steuertricks der Konzerne vor. Sie erarbeiteten einen 15-Punkte-Aktionsplan, der unter anderem die Verrechnungspreis-Manipulation, Briefkastenfirmen, den Missbrauch von Steuerabkommen, die Gewinnverlagerung der Internetriesen und Intransparenz angreifen sollte. Die Steuern sollten wieder der Wertschöpfung folgen. Viele Vorschläge blieben jedoch unverbindlich. Die Umsetzung durch OCED und EU erfolgte nur zögerlich.

Ein kleiner Erfolg war, dass Lizenzgebühren (Patentboxen) heute nur noch eingeschränkt steuerlich bevorzugt werden. Zudem gibt es jetzt mehr Durchblick im Steuerdschungel. Vorletztes Jahr starteten 50 Länder einen automatischen Steuerdatenaustausch. Und in der EU sollen künftig Unternehmen ihre Kennzahlen (Umsätze, Gewinne, gezahlte Steuern etc.) nach Ländern aufgeschlüsselt offenlegen. So könnten die Finanzämter die Firmen dort besteuern, wo sie wirtschaftlich tätig sind. Öffentliche Konzernberichte könnten ferner dazu beitragen, dass Verbraucher, Wähler und kleine Wettbewerber die tricksenden Konzerne unter Druck setzen.Umso unverständlicher ist es, dass die Bundesregierung eine Veröffentlichungspflicht für Konzernbilanzdaten im Europäischen Ministerrat blockiert. Gleiches gilt für eine europäische Initiative zur Besteuerung der Internetgiganten. Auch hier steht die Merkel-Regierung auf der Bremse, weswegen Paris jetzt eine nationale Digitalsteuer einführt. Mit dieser Konzernpflege seitens der Bundesregierung muss Schluss sein. Stattdessen sollte die europäische und internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen ausgebaut werden, und zwar konsequent.

Die legale und illegale Steuerflucht kostet die EU jährlich 160 bis 190 Milliarden Euro