Wie besonders ihr Arbeitsplatz ist, wurde den drei Preisträger*innen klar, als sie sich mit dem Thema beschäftigten. Diskriminierung? Hatten sie am Arbeitsplatz noch nie erfahren oder beobachtet. Im Gegenteil: Kimberley Mager, 25, die erst Zustellerin lernte und sich nun mit einer zweiten Ausbildung weiter qualifiziert, schätzt den Zusammenhalt innerhalb des Unternehmens. „Wir helfen uns gegenseitig und wenn jemand unsere Sprache nicht gut spricht, dann wird eben alles das, was wichtig ist, gezeigt. Das geht auch. Entscheidend ist, Millionen von Sendungen täglich gut zu bearbeiten.“

Ihre Betriebsrätin Anja Flick-Mager hat die drei Auszubildenden im Schadensmanagement der Serviceniederlassung der Deutschen Post in Neuss auf den Wettbewerb der Gelben Hand aufmerksam gemacht. Sie hatte einen Flyer von einer Veranstaltung mitgebracht und schlug den dreien vor, sich zu beteiligen. „Wir haben uns sofort zusammengesetzt und überlegt, was wir da anbieten könnten“, erinnert sich Esra Gülen, 22. Sie waren skeptisch, ob sie zu dritt ein solches Projekt stemmen könnten. „Wir haben erst mal im Internet nachgeschaut, was da so verlangt wird“, sagt Kimberly. Und als sie sahen, dass es weniger um eine aufwändige Produktion als vielmehr um eine klare Aussage ging, war klar: Da machen wir mit.

Sie hatten eine Menge Ideen für eine PowerPointPräsentation. Zwei Kriterien halfen schließlich bei der Entscheidung. Es musste realisierbar sein, ohne die Ausbildung zu vernachlässigen. Und: „Es musste etwas sein, das eng mit unserem Arbeitsplatz zusammenhängt. Wir hätten ja auch in eine Bäckerei gehen und da was drehen können, aber das hätte nichts mit uns zu tun gehabt“, sagt Esra.

Das hat mit uns zu tun

Deshalb wollten sie zeigen, welchen Weg ein Brief vom Absender bis zum Empfänger nimmt (s. Grafik auf den Seiten J4–J5). Auf einem großen Pappbogen entwarfen sie, durch welche Hände ein Brief geht, den ein kleines Mädchen an seine Oma schreibt. „Normalerweise wirft man den Brief ja in den Briefkasten oder gibt ihn bei der Post ab, und alles andere passiert im Hintergrund, bis er beim Empfänger landet“, sagt Esra. Sie aber wollten sichtbar machen, durch wie viele Stationen ein solcher Brief gehen kann und wie viele Menschen aus unterschiedlichen Nationen daran beteiligt sind.

Die Rolle der kleinen Briefschreiberin übernahm Esras Nichte, die sich mit Feuereifer ans Malen machte. Anschließend war die Kleine so begeistert von ihrem Werk, dass Esra ihr nur mit einigem Geschick den Projektbrief wieder entlocken konnte. Dann trat der Brief seinen Weg zu Omas Briefkasten und durch die Hände von Beschäftigten aus 14 Nationen an. Kaum hatten die drei ihr Projekt vorgestellt, schlug ein Mitarbeiter mit ostfriesischen Wurzeln vor, als kleinen Gag doch auch seine Flagge zu zeigen. Die Friesen seien nämlich auch ein eigenes Völkchen. Kimberly, Esra und Julian zögerten nicht. Das unterstrich ihre Aussage „Hier stört Anderssein nicht“ kongenial, wenn es sogar innerhalb einer Nationalität ein

„Anderssein“ gibt. Und was bedeutet das schon „anders zu sein“ hat sich Kimberley Mager gefragt: „Sind wir nicht alle anders?“ Und antwortet gleich selbst: „Das fängt doch schon beim Geschlecht an. Frauen und Männer sind anders. Wir sind doch alle irgendwie anders.“

Sie kennt die Ablehnung, wenn jemand augenscheinlich anders ist. Ihr Ex-Freund ist dunkelhäutig: „Wenn wir abends nach Köln in die Disko gefahren sind, haben wir es oft erlebt, dass man uns nicht reingelassen hat.“ Esra und Julian haben solche Ablehnung noch nicht erfahren. Aber Esra geht seit diesem Projekt aufmerksamer durch die Welt. Kürzlich ist ihr ein Straßenbahnfahrer aufgefallen, der einen Passanten, der fast vor die Bahn gelaufen wäre, ausländerfeindlich beschimpft hat.

Was Gutes abgeliefert

Unter den Kolleg*innen haben sie von Anfang an Unterstützung erfahren. Der Niederlassungsleiter hat sie für die Stunden, in denen sie ihre Fotos machten, freigestellt. Die Kolleg*innen an den einzelnen Stationen haben den roten Brief an Oma gut sichtbar an ihrem Arbeitsplatz präsentiert. Nur sehr wenige hätten nicht mitmachen wollen, sagt Julian Neuss, der auch 22 ist. „Das hatte meist damit zu tun, dass sie sich nicht in der Öffentlichkeit sehen wollten“. Begeistert waren die Zusteller*innen, die sich freuten, dass ihre Arbeit auf diese Weise gewürdigt wurde.

Die Generalprobe mit ihrer Präsentation hatten die drei bei einer konzernweiten Betriebsversammlung mit Beschäftigten aus Neuss, München, Berlin und Nürnberg. „Wir wussten sofort, wir haben da was Gutes abgeliefert“, sagt Kimberley, die beiden anderen nicken bestätigend. Aber dass sie so erfolgreich sein würden, hätten sie sich nicht gedacht. Von allen gelobt und mit anerkennenden Bemerkungen versorgt, schrieben sie selbstbewusst die Bewerbung für den Wettbewerb.

Jetzt musste nur noch die Konzernzentrale zustimmen, den Beitrag wegen des Datenschutzes auch außerhalb des Unternehmens zeigen zu dürfen. Mehrmals täglich schauten sie in ihre E-Mail-Briefkästen. Die Betriebrätin hakte nach, sie hakten nach. Sie machten auf den Abgabetermin aufmerksam – es tat sich nichts. Kurz vor Einsendeschluss endlich die Nachricht: Sie durften ihr Projekt einreichen.

Wenige Wochen später trudelte eine Mail der „Gelben Hand“ ein. Kimberley erinnert sich, dass sie vor dem Bildschirm saß und dachte: „Okay, dann mache ich die jetzt mal auf.“ Dann gab es kein Halten mehr. Sie feierten auf dem Flur, der Niederlassungsleiter machte große Augen. Mit dem ersten Preis hatte niemand gerechnet.

Esra glaubt, es habe daran gelegen, dass sie das Thema mit ihrer Arbeitswelt verknüpft haben. Kimberley sagt: „Wir haben wohl überzeugt, weil man in unserem Beitrag gut sehen kann, dass es egal ist, woher man kommt. Und dass es halt funktioniert, wenn man zusammenarbeitet und gemeinsam etwas erreicht. Wir arbeiten hier Hand in Hand, um ans Ziel zu kommen.“ Julian sieht das genauso.

Die Preisverleihung in Dresden sei dann total aufregend gewesen. Die Laudatio vor mehr als 100 Gästen in der Staatskanzlei hielt die DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier. Sie hatte als Überschrift ihres Vortrages Artikel 1 des Grundgesetzes gewählt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Bewegend sprach sie von ihren Erfahrungen als Oppositionelle in der DDR. Esra fand die Rede so spannend, dass sie noch länger hätte zuhören können. „Ich konnte verstehen, wie sie sich gefühlt hat.“

Ihre Präsentation hat nun die Reise durch den Konzern begonnen: Der Niederlassungsleiter Düsseldorf fand das Ergebnis super, sagt Kimberley: „Der hat nachgefragt, ob er sie für innerbetriebliche Veranstaltungen nutzen und vorstellen kann.“ Auch die DHL hat Interesse angemeldet.

Vom Preisgeld in Höhe von 1.000 Euro haben sie erst mal Pralinen für alle Mitwirkenden gekauft und den Rest ihrer Sozialkasse gespendet. Zu Weihnachten werden daraus soziale Projekte unterstützt. „Wir suchen uns was mit Kindern aus“, verrät Kimberley. Und das wird bestimmt nicht ihr letztes Vorhaben sein, denn die Arbeit für den Wettbewerb der „Gelben Hand“ hat sie auch persönlich einander näher gebracht.

„Wir hätten ja auch in eine Bäckerei gehen und da was drehen können, aber das hätte nichts mit uns zu tun gehabt“

Esra Güven