Das Gift der Ungleichheit –"Das 21. Jahrhundert droht ein Jahrhundert der extremen Ungleichheit zu werden." Und die Corona-Pandemie werde den Ungleichheitstrend verschärfen. Davor warnt Dierk Hirschel, seit 2010 ver.dis Chefökonom, in seinem lesenswerten Buch. Er hat akribisch nach Ursachen und Auswirkungen von Ungleichheit geforscht und hat dabei die wichtigsten Politikfelder in Deutschland im Blick.

Er belegt hier analytisch den Kapitalismus mit seinen Mechanismen als die Triebfeder der Ungleichheit und Verursacher von Krisen. Die Folge: Die Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen, Bildungschancen und Daseinsvorsorge wächst unaufhörlich. Mit einem Rückblick auf die Nachkriegszeit skizziert der Autor einen gezähmten Kapitalismus mit korporativen Arbeitsbeziehungen, starken Gewerkschaften und Reformpolitik.

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Das änderte sich mit der neoliberalen Politik ab den 1980er Jahren auf allen Politikfeldern mit den Kanzlerschaften von Kohl und Schröder. Hirschels Befund: Der "Rheinische Kapitalismus 2.0" ist ein entfesselter, sozial und ökologisch blinder Kapitalismus und hat die Ungleichheit stärker vorangetrieben. Zu den Verursachern zählt er auch die SPD, einst enge Verbündete der Gewerkschaften. Er kritisiert die Gewerkschaftsbewegung, weil sie es nicht vermochte, dem Umbau der Betriebs- und Arbeitsmarktstrukturen organisierend zu folgen. Aber er sieht sie heute mehr denn je in der Lage, Gegenmacht aufzubauen. "Die kollektive Interessenpolitik der Arbeit hat ihre geschichtliche Energie nicht verbraucht", schreibt Hirschel und ermuntert zu neuen Wegen in der gewerkschaftlichen Alltagspraxis.

In der Quintessenz plädiert Hirschel in einer "Agenda fortschrittlicher Politik" für ein stärkeres Miteinander von Gewerkschaften, sozial-fortschrittlichen Parteien, Umweltverbänden und sozialen Initiativen. Ein Aufbruch in eine gerechte umweltfreundliche Gesellschaft sei möglich. Gunter Lange

Dierk Hirschel: Das Gift der Ungleichheit, Verlag J.H.W. Dietz, Bonn, 256 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3801205706