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Die Arbeit in Südafrikas Weinbergen ist hart, giftig und miserabel bezahltFoto: Cynthia Boll/De Beeldunie/Visum

ver.di publik: Zunehmende Prekarisierung durch Leiharbeit, unzureichende Schutzausstattung beim Umgang mit hochgiftigen Pestiziden, Entlassungen von Gewerkschaftsmitgliedern – das sind nur einige der schockierenden Arbeitsbedingungen auf südafrikanischen Weinfarmen, auf die die Studie "Günstiger Wein, bitterer Nachgeschmack" eingeht, die ihre Gewerkschaft mitherausgegeben hat. Sie kämpfen seit vielen Jahren gegen diese Probleme an – warum gibt es keinen Wandel?

Trevor Christians: Man muss die Geschichte sehen, die Landnahmen und die systematische Entrechtung von Arbeitern. Als Folge der Apartheid sind heute noch immer 80 Prozent des Landes in den Händen der Leute, die damals profitiert haben. Insbesondere schwarze Arbeiter hatten damals keinerlei Rechte, viele wurden auf den Farmen von den weißen Farmern getötet, ohne dass das Folgen hatte. Diese Geschichte müssen wir verstehen. Dann hat der ANC, der African National Congress, übernommen. Wir haben einige Erfolge errungen, wir haben das Arbeitsgesetz geändert, wir haben Rechte für Farmarbeiter erkämpft. Aber es gab keine Übergangsphase, keine Heilung der Wunden, es hieß nur: Jetzt seid ihr alle gleich – wenngleich die Arbeiter so lange Zeit brutal behandelt worden waren. Vor diesem Hintergrund müssen wir verstehen, warum es so schwer ist, diese Dinge zu ändern.

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Trevor ChristiansFoto: Selz

ver.di publik: Sie sprechen die Arbeitsgesetze an. Auf dem Papier hat sich vieles zum Besseren verändert. Woran scheitert die Durchsetzung?

Christians: Wir müssen die Machtverhältnisse in der Gesellschaft beachten. Die Unterdrücker haben die Kontrolle über den Grund und Boden, also haben sie die Kontrolle schlechthin. Dazu kommt die zunehmende Armut, mit der die Mehrheit der schwarzen Menschen im Land konfrontiert ist. Den Leuten wird eingebläut, dass sie froh sein sollen, wenn sie einen Job haben. Sie sollen dankbar sein, denn viele andere haben ja keinen. Und sie sollen keine "vermessenen" Forderungen stellen, sondern "vernünftig" sein. Das ist alles Teil des Drucks, der auf Arbeiter ausgeübt wird. Und der Corona-Virus macht es derzeit noch schwieriger. Es geht fast nur noch darum, überhaupt Arbeitsplätze zu schützen.

ver.di publik: Erschreckend sind auch die in der Studie beschriebenen Lebensbedingungen der Arbeiter auf den Farmen: Trinkwasser aus verschmutzten Kanälen, zwei Tage Lohnabzug für einen Arztbesuch oder aggressives Verhalten der meist weißen Farmer gegenüber schwarzen Beschäftigten. Steckt dahinter "nur" Kosteneinsparung oder inwieweit auch Rassismus?

Christians: Was die Black-Lives-Matter-Bewegung in Amerika und global deutlich gemacht hat, sehe ich hier auch: systemischen Rassismus. Der ist nicht offen, aber er ist da. Das Denken der Weißen ist vollkommen von Rassismus eingenommen, es kann sich nicht verändern, weil sie davon profitieren. Rassismus ist nicht nur eine Frage, ob man Rassist ist, sondern es geht um Vorteile, um ökonomischen Nutzen. Auf ein und derselben Farm können Sie exzessiven Reichtum und absolute Armut direkt nebeneinander sehen. Unsere Gewerkschaft, die CSAAWU, hat aber einiges verändert, nicht viel, aber wir haben etwas bewirkt. In der Region Robertson ist eine Farm, dort hat der Farmer die Dächer der Arbeiterunterkünfte erneuert, die Häuser renoviert und Anschlüsse für sauberes Trinkwasser gelegt, nachdem wir Druck gemacht haben. Wir nutzen dazu auch die ethischen Standards.

ver.di publik: Deutschland ist Südafrikas zweitwichtigster Absatzmarkt nach Großbritannien. Die Studie macht sich vor diesem Hintergrund für ein Lieferkettengesetz stark. Wie würde das die Situation auf den Farmen ändern?

Christians: Um unverblümt ehrlich zu sein: Die Regulierungen sind wichtig, ein Gesetz wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wenn wir es nicht schaffen, eine starke Arbeiterorganisation aufzubauen, dann bedeuten diese Regeln gar nichts. Denn nur eine organisierte Arbeiterschaft kann sie überwachen. Bei Leeuwenkuil (eine der Farmen, auf der schwere Missstände festgestellt wurden, Anmerk. Red.) gab es elf Audits von Systembolaget (staatlicher schwedischer Alkohol-Monopolist, Anmerk. Red.) und sie haben nichts gefunden. Und wir fragen uns, was diese Schweden für eine Bildung hatten, dass die nicht sehen können, was wir sehen. Der Punkt ist: Wenn es keinen Druck gibt, dann kommen diese Leute damit durch.

Trevor Christians ist Generalsekretär der Commercial Stevedoring Agricultural & Allied Workers Union (CSAAWU). Die südafrikanische Landarbeitergewerkschaft ist gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Transnationals Information Exchange, dem Trust for Community Outreach and Education und ver.di Herausgeber der jüngst veröffentlichten Studie "Günstiger Wein, bitterer Nachgeschmack".