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Ein Mann für alle Bücher. Aber ob der Abgebildete auch wirklich ein Autor namens William Lakefield ist? Zweifel sind angebrachtScreenshot: amazon.de

Als Amazon einst seinen deutschen Online-Shop eröffnete, präsentierte die virtuelle Buchabteilung vor allem Titel aus Verlagshäusern. Vor rund zehn Jahren kamen viele Selbstverleger hinzu. Amazon wurde zur Plattform für Autor*innen, die Print-On-Demand und die Möglichkeiten des Kindle-Shops nutzen wollten. Diese Selfpublisher bieten auf eigene Verantwortung ihre Werke an, vor allem Unterhaltungsromane und diverse Ratgeber.

Seit einigen Jahren gibt es im Amazon-Shop ein neues Phänomen: eine Flut von billig gemachten Ratgebern, deren Verfasser*innen im Dunkeln bleiben. Diese Taschenbücher und E-Books fallen durch schicke Cover im amerikanischen Stil auf, und oft beeindrucken sie Unerfahrene durch besonders viele Fünf-Sterne-Bewertungen, die schon wenige Wochen nach der Veröffentlichung eingetroffen sind. Beim genaueren Hinschauen erkennt man jedoch oftmals ein unprofessionelles Layout mit sehr großen Abständen, das es ermöglicht, die Seiten mit wenig Text zu füllen. Viele dieser Bücher strotzen auch von Rechtschreib- und Satzbaufehlern.

Erfundene Fachleute

Die eigentlichen Verfasser*innen solcher Bücher und E-Books bleiben unsichtbar. Ihre Ghostwriter-Zuarbeit kaufen sich die Vertreiber üblicherweise sehr billig über Texter-Portale oder in Facebook-Gruppen für Texter ein. Gezahlt werden dort meist nur wenige Cent pro Wort, eine gründliche Recherche ist dafür kaum machbar. Entsprechend oberflächlich fallen die Inhalte aus, die sprachliche Qualität ist ebenfalls Glückssache. Der Öffentlichkeit präsentieren die Heraus-geber hingegen eine glänzende Fassade. Auf Amazon erscheint ein Autorenprofil mit frei erfundener Lebensgeschichte, dazu ein austauschbares Stockfoto von einer Bildagentur, das einfach ein sympathisches Model zeigt.

Das Foto des Autors "William Lakefield" stammt zum Beispiel von der Agentur Shutterstock. Zweifel an Lakefields Echtheit weckt auch seine schillernde Biografie, wonach er aus reichem Haus stammt, an "einer der renommiertesten Universitäten in Amerika" studiert hat, mit Immobilien und an der Börse sehr erfolgreich ist und insgesamt eine siebenstellige Summe für den guten Zweck gespendet hat. Doch Suchmaschinen bringen keine zusätzlichen Informationen zum Autor oder zu seinen Aktivitäten zutage – man landet immer wieder bei seinen Büchern über Geld und Börse.

Kurios auch, dass sich zwei Autoren – Anthony Richards und Christopher Lodge – zwar mit unterschiedlichen Fotos, aber mit fast demselben unbeholfenen Text zu ihrer Person präsentieren. Richards Foto zeigt eigentlich den amerikanischen Wissenschaftler Craig Considine, der es nach eigener Auskunft aufgegeben hat, den Missbrauch seines Porträts immer wieder bei Amazon zu beanstanden.

Die Billig-Ratgeber decken fast alle populären Themen ab: Geld und Erfolg, aber auch Gesundheit, Ernährung und Fitness – darunter Bereiche, in denen schlechte Tipps schaden können. Ein Teil der erfundenen Autoren hat einen passenden Beruf, um fachliche Autorität oder viel Erfahrung auf ihrem Gebiet vorzutäuschen, zum Beispiel als Ernährungsberaterin, als erfolgreicher Unternehmer und sogar als "ausgebildeter Polizist" mit Erfahrung im Verhör, der sich den Themen Rhetorik und Manipulation widmet. Der "Autor" Konrad Sewell beispielsweise präsentierte sich einige Zeit als "promovierter Jurist", mittlerweile hat der Herausgeber diese Anmaßung fast überall gelöscht. Einen Doktortitel vorzutäuschen, ist eben schlichtweg strafbar. Aber auch etwas anderes ist auffällig: Hinter Konrad Sewell steht laut Impressum dieselbe Adresse wie hinter William Lakefield.

Gekaufte Bewertungen

Auch wenn Amazon auf seiner Plattform fiktive Experten und legal erworbene Stockfotos erlaubt: Falls sich ein Kläger findet, könnte das deutsche Wettbewerbsrecht die Sache ganz anders bewerten. Das gilt auch für einige weitere Tricks wie zum Schein befristete Sonderangebote, die aber langfristig bestehen bleiben. Oder für Kundenbewertungen, die nicht echt sind, sondern bei Dienstleistern und Vermittlern gekauft wurden.

Der Selbstverleger Jan Höpker aus Baden-Württemberg ist tiefer in die Szene eingetaucht, um solche Hintergründe aufzudecken (habitgym.de/schrottbuecher): "Ich beobachte eine Facebook-Gruppe, in der solche Publisher sogar Klicks auf die 'Nützlich'-Buttons von positiven Rezensionen miteinander tauschen. Die Rezensionen mit den meisten Nützlich-Klicks zeigt Amazon ganz oben an. Das Ziel der Publisher ist, negative Bewertungen von echten Lesern auf die zweite Seite zu verdrängen."

Doch wie lassen sich gekaufte Bewertungen erkennen? "Indem man schaut, wer die Rezensionen geschrieben hat. Bei fragwürdigen Ratgebern findet man auffallend oft Rezensenten, die schon weit über hundert Rezensionen verfasst haben. Viele von ihnen bewerten nur diese Art von Büchern." Höpker rät auch, auf das eigene Gefühl zu hören, wenn einem etwas komisch vorkommt, etwa an den Fotos oder der Autorenbeschreibung. Manchmal passen auch das Foto und das angebliche Alter nicht zusammen.

Einträgliches Geschäft?

Das in der Szene sogenannte "Kindle Business" entwickelte sich in den USA, in den letzten Jahren ist die Welle nach Europa geschwappt. Mittlerweile gibt es mehrere Akteure in Deutschland, die hochpreisige Online-Kurse und Einzel-Beratungen zum "Kindle Business" anbieten, um die Masche weiterzugeben. Sie erreichen ihre Kunden unter anderem über YouTube-Videos, wo sie dem Publikum erste Tipps geben und weismachen, dass hier das große Geld lockt: "9.500 Euro pro Monat trotz Hauptjob", heißt beispielsweise ein Video des Szene-bekannten Grigori Kalinski auf YouTube. Auch andere Videos versprechen einen vierstelligen Zusatzverdienst.

Das größte Medium, das bisher über das Problem berichtete, ist ausgerechnet die Washington Post, die schon länger dem Amazon-Gründer Jeff Bezos gehört. Die englische Sprache hat mit "catfishing" sogar einen eigenen Ausdruck dafür, dass jemand in unredlicher Absicht ein Online-Profil mit falscher Identität anlegt. Das entsprechende Geschäftsmodell auf Amazon nannte die Washington Post bereits im Jahr 2015 "scam", zu Deutsch: Betrug, Masche oder Schwindel. Online-Shops jenseits von Amazon sind von der Masche übrigens kaum betroffen.

Im deutschsprachigen Raum läuft das Amazon-Geschäft weiterhin unter dem Radar der großen Medien und der breiten Öffentlichkeit – trotz der offensichtlichen Verbrauchertäuschung.