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Asklepios-Mitarbeiterinnen vereinbaren auch Familie und StreikFoto: ver.di

Seit nunmehr 16 Monaten streiken die über 600 Beschäftigten der privatwirtschaftlichen Asklepios Kliniken Schildautal im niedersächsischen Seesen für einen Tarifvertrag. Ihnen bleibt auch keine andere Wahl, denn der Asklepioskonzern fährt mit seiner Sparpolitik die Kliniken gegen die Wand. "Weil Asklepios seinen Beschäftigten Tarifverhandlungen verweigert, sehen wir uns gezwungen, den Streik in völlig neuen Dimensionen fortzuführen", kündigte ver.di-Verhandlungsführer Jens Havemann Anfang Oktober an. Die Kapazitäten des Krankenhauses wurden für drei Wochen radikal reduziert. Denn nur mit deutlich besseren Arbeitsbedingungen lasse sich gutes Personal halten und gewinnen. Das aber habe der Gesundheitskonzern bisher verweigert, so Havemann.

Sogar ehemalige Chefärzte haben einen Brandbrief an Asklepios geschrieben. Sie werfen dem Konzern nicht nachvollziehbare Einsparungen und mangelhaftes Personalmanagement vor und appellieren, auf den langjährigen Erfolgskurs zurückzukehren, den die Klinik noch bis vor wenigen Jahren hatte. Die Spezialklinik war jahrzehntelang bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten überregional renommiert und gleichzeitig einträglich für den Konzern.

Viele Stellen sind unbesetzt

Das hat sich 2017 komplett geändert. Seitdem bestimmen kurz gedachte Sparziele die Personalpolitik des Konzerns. Die Personalausstattung und damit die Bedingungen für Patienten und Beschäftigte verschlechtern sich, die Klinik gerät nach und nach in eine negative Tendenz, sagt Havemann. Langjähriges Personal verlässt zuhauf die Klinik, neues ist beim anhaltenden Fachkräftemangel auf dem Markt für die Asklepios-Gehälter und -Arbeitsbedingungen kaum zu bekommen. Zahlreiche Stellen bleiben unbesetzt. Wäre ausreichend Personal vorhanden, könnten weitaus mehr Patienten behandelt werden.

Die Belegschaft sorgt sich um ihre Zukunft und hat sich gewerkschaftlich gut organisiert. Martin Kupferschmidt, Krankenpfleger und Mitglied der ver.di-Streikleitung ist hörbar beeindruckt: "Unglaublich, wie wir zusammenstehen, wie wir den Druck, den Asklepios ausübt, gemeinsam auffangen und zurückgeben." Der Konzern reagiert mit Drohungen und Spaltungsversuchen, wie dem Herauslösen der Rehaklinik und der Therapiebereiche aus dem bisherigen Gemeinschaftsbetrieb. Zuletzt drohte Asklepios sogar mit Kündigungen in der Therapie GmbH. Die Beschäftigten streiken dennoch hartnäckig, wenn es nötig ist.

Jens Spahn äußert Unverständnis

Breite Unterstützung gibt es auch aus der Öffentlichkeit und seitens der Politik. Ein Bürgerbündnis hat über 6.000 Unterschriften gesammelt. Stadtrat und Kreistag bezogen ebenfalls Position für die Anliegen der Beschäftigten. Und sogar Bun- desgesundheitsminister Jens Spahn, CDU, äußerte am Rande der Gesundheitsministerkonferenz in Berlin sein Unverständnis über das Verhalten von Asklepios.

"Renditeorientierte Konzerne wie Asklepios spielen hier mittlerweile eine entscheidende Rolle – zulasten der Beschäftigten, ihrer Arbeitsbedingungen, der Tarifbindung und letztlich auch der Patient*innen."
Aus der Solidaritätserklärung des ver.di-Gewerkschaftsrats

Solidarisch erklärt hat sich auch der ver.di-Gewerkschaftsrat. "Es darf nicht sein, dass der zahlungskräftige Asklepios-Konzern systematisch Tarifverträge verweigert und die engagierte Belegschaft eines renommierten Krankenhauses über Monate hinhält", heißt es in der Solidaritätserklärung. Die Auseinandersetzung sei auch deshalb von zentraler Bedeutung, weil sie ein Schlaglicht auf die Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen werfe. "Renditeorientierte Konzerne wie Asklepios spielen hier mittlerweile eine entscheidende Rolle – zulasten der Beschäftigten, ihrer Arbeitsbedingungen, der Tarifbindung und letztlich auch der Patient*innen." Für ver.di müssen im Gesundheitswesen die bestmögliche Versorgung und gute Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt stehen, und nicht die Profitinteressen von Konzernen.

In der Krankenhauslandschaft sei das Vorgehen von Asklepios sehr ungewöhnlich, sagt Jens Havemann. Mit allen relevanten Wettbewerbern gebe es quasi flächendeckend Tarifverträge. Sowohl bei Helios als auch bei Sana und Rhön seien Tarifverträge absoluter Standard. "Bei Asklepios hingegen sind Tarifverträge die Ausnahme. Wer einen hat, kann sich glücklich schätzen, meist noch aus Zeiten der Privatisierung, weil – wie in Goslar oder Göttingen – der Staat beim Verkauf auf die Tarifbindung bestanden hat."

In Seesen gab es inzwischen ein Gespräch mit dem Arbeitgeber und der Streik wurde unterbrochen. Auch wegen der steigenden Corona-Zahlen.