„Ich fahre nun Auto-Ersatzteile statt Touristen durch die Stadt“

Nirit Ben-Joseph, selbstständige Stadtführerin, Berlin

Ich bin 1987 aus Israel nach Berlin gezogen – der Liebe wegen. Seit 22 Jahren arbeite ich hier als Stadtführerin. Ich bin spezialisiert auf Führungen, die sich mit dem jüdischen Leben in Berlin und Deutschland befassen, mit dem Dritten Reich und dem Holocaust. Meine Kunden sind meist jüdische Touristen – aus Israel und anderen Ländern. Ich mache aber auch Führungen zur Architektur in Berlin oder zu historischen Themen wie Spionage in Ost und West. Ich liebe meinen Beruf und konnte bisher gut von meiner Arbeit leben.

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Als Nirit Ben-Joseph noch durch die neue Synagoge führen durfteFoto: Katja Harbi

Mit dem Lockdown im März und dem Ausbleiben der Touristen verlor ich alle meine Aufträge. Ich hatte schon gebuchte Führungen bis in den Sommer hinein. Alle Termine mussten abgesagt werden. Und alle meine Einnahmen waren mit einem Mal weg. Ich bin von 100 auf null gefallen und war verzweifelt.

Die Soforthilfe war dann erstmal die Rettung. Als ich bei der Bank angerufen habe, um mich nach der Hilfe zu erkundigen, hat der Berater so nett und hilfsbereit mit mir gesprochen, dass ich heulen musste. Ich war so dankbar, dass sich jemand um mich kümmert. Und das Geld war auch ziemlich schnell da.

Anfangs dachte ich, das wird schon wieder, das hört gleich wieder auf, und alles wird wieder normal. Aber mit der Zeit wurde mir – wie auch allen anderen – klar, dass diese Krise lange dauern würde. Ich habe überlegt, was ich tun kann. Erstmal habe ich versucht, meine Stadtführungen für deutsche Touristen anzubieten. Ich habe meine Angebote auf meiner Homepage geändert und Anzeigen auf berlin.de geschaltet. Ich wollte kürzere Touren zu Fuß durch Berlin anbieten – mit dem nötigen Abstand. Vorher waren es ja ganztägige Touren mit dem Auto. Aber es kamen nur wenige Buchungen. Um über die Runden zu kommen, habe ich angefangen, mir Minijobs zu suchen. Ich habe kurz in einem Café gearbeitet, ein paar Wochen als Uber-Fahrerin und als Babysitterin – Letzteres mache ich immer noch.

Hoffnung einen Sommer lang

Im Sommer hatte ich kurz Hoffnung, dass ich bald wieder Stadtführungen machen könnte. Ich war für November auch schon mehrfach gebucht. Aber dann wurde Ende Oktober wieder alles abgesagt. Ich bin nervlich richtig abgestürzt.

Wenn man selbstständig ist, hat man immer Existenzsorgen, immer diese Angst, eines Tages passiert mal eine Katastrophe und man hat keine Einnahmen mehr. Jetzt ist das wirklich eingetreten, und das Gefühl ist furchtbar. Mir fehlt gerade die Perspektive. Wenn ich wüsste, wie lange es noch so geht. Ein halbes Jahr? Ein ganzes Jahr? Das könnte ich vielleicht durchhalten. Aber nicht zu wissen, wann ich wieder als Stadtführerin arbeiten kann, das macht mich fertig. Die ganze Zeit habe ich so eine Unruhe in mir. Ich denke, ich muss doch etwas tun, ich muss irgendwas unternehmen. Gerade habe ich noch einen Mini-Job angefangen. Seit ein paar Tagen fahre ich nun zwei Stunden täglich Auto-Ersatzteile mit einem Transporter durch die Stadt. Für 10 Euro die Stunde.

Von einem Freund habe ich einen privaten Kredit bekommen, um mein Stadtführungsauto zu kaufen, damit ich die monatlichen Leasingraten nicht mehr zahlen muss. Ich will ihm das Geld Stück für Stück zurückzahlen – und sofort damit beginnen. Das ist mir sehr wichtig. Auch deshalb mache ich diese Mini-Jobs. Ich hoffe, dass ich die Novemberhilfe bekomme. Das Geld von der ersten Hilfe ist natürlich längst verbraucht. Und was danach passiert? Ich habe keine Ahnung. Ich muss einfach gucken, dass ich weiter überlebe.

Ein kleiner Lichtblick: Vor kurzem hatte ich eine Anfrage – eine Unternehmerin wollte als Weihnachtsfeier für ihre Mitarbeiter eine Stadtführung bei mir buchen. Das geht jetzt natürlich nicht mehr. Aber sie hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, das Ganze als Online-Vortrag zu machen. Das kann ich! Ich habe so viele Fotos und Material auf meinem Tablet, das ich für die Führungen nutze. Und so ist die Idee entstanden, dass ich meine Führungen als Vorträge anbieten könnte – sogar im Ausland. Aber wie macht man das mit Werbung und wie viel Geld steckt man da rein? Da bin ich gerade am Überlegen.

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Großes Kino ist gerade nicht – Ingo Völker am Set

„Die Sekundärauswirkungen machen mir am meisten Sorge“

Ingo Voelker, freiberuflicher Filmtonmeister, Techniker und Toningenieur für Veranstaltungen, Hannover

Ich war im Frühjahr in Gesprächen für drei größere Projekte – einen Kinofilm, eine Kino-Doku und eine Fernsehgeschichte. Durch Corona kam alles zum Stillstand. Zwei Sachen wurden auf Herbst verschoben. Allerdings konnte ich dann nicht mehr dabei sein, weil das terminlich nicht für mich passte. Das war schon einschneidend. Ich hatte darauf gebaut. Und wir sind hier in Hannover auch nicht am klassischen Film- und Fernsehstandort. Solche Projekte hängen stark von der Förderung ab, sind eher selten. Insofern war das nicht nur finanziell gesehen ärgerlich.

Es ist ein Rattenschwanz

Bei der Kino-Doku – eine Doku über die Band Scooter – bin ich noch dabei. Eigentlich sollte sie jetzt schon im Schnitt sein. Aber natürlich konnte vieles nicht gedreht werden. Die Konzerte konnten ja nicht stattfinden. Das ist auch für die Musiker schlimm, die ja heutzutage kaum noch Geld mit Tonträgern machen, sondern hauptsächlich mit Konzerten. Und das wiederum hat zur Folge, dass Leute wie ich, die quasi in der zweiten Reihe stehen, oder die Toningenieure, die auf den Konzerten die Beschallung machen, dann auch nicht arbeiten können. Es ist ein Rattenschwanz.

Ich habe gleich am Anfang der Krise Soforthilfe beantragt und auch relativ unproblematisch bekommen. Aber ich habe das Geld nicht angefasst, weil ich nicht weiß, ob ich das vielleicht zurückzahlen muss. Irgendwie passen die Hilfen ja nicht mit der Realität der Solo-Selbstständigen zusammen. Werden die Lebenshaltungskosten mit einbezogen? Und wie ist das, wenn man ab März zwar nichts mehr zu tun hatte, aber noch Geld aus den Monaten davor bekam? Oftmals sind die Auftraggeber ja nicht so schnell beim Bezahlen, und die Honorare kommen erst Monate später.

Wenn ich das Jahr betrachte, ist durch die Corona-Krise mein Gesamtumsatz um etwa 50 bis 70 Prozent zurückgegangen. Ich hatte immer wieder kleinere Jobs, sodass ich irgendwie klarkam. Ich bin ja recht breit aufgestellt. Meinen Kollegen, die nur in der Veranstaltungsbranche ihr Geld verdienen, geht es noch schlechter. In der Branche wurde alles abgesagt, sämtliche Hauptversammlungen von großen Unternehmen wurden auf Eis gelegt und hinterher als Streaming-Konferenzen gemacht. Auch war hier sonst im Frühjahr und Herbst wochenlang zu tun – mit den großen Messen wie der Hannover Messe oder der EuroBlech. Doch die Messen, mit denen die Leute aus der Medien-, Messebau- und Veranstaltungsbranche sonst einen großen Teil ihres Jahresumsatzes machen, wurden alle abgesagt.

Die Sekundärauswirkungen in der Zukunft machen mir am meisten Sorge. Ob sich die Veranstaltungsbranche jemals wieder erholen wird, ist fraglich. Am Standort Niedersachsen sind wir extrem abhängig von der Wirtschaft. Hier gibt es außer wirtschaftsbezogenen Veranstaltungen nicht viel. Über 60 Prozent des gesamten Umsatzes der Freiberufler, die in den Medien tätig sind, haben irgendwas mit den Konzernen hier zu tun. Das ist bei mir genauso. Und viele Firmen werden auch nach Corona versuchen, alles mit Streaming abzuwickeln. Das bedeutet in der Folge krasse Einbrüche. Insofern überlege ich gerade, wie ich außerhalb von Hannover Arbeit generiere. Notfalls ziehe ich fort. In München zum Beispiel wird einfach viel mehr gedreht. Da ist natürlich die Frage, wie man dort eine Wohnung finanzieren soll. Aber ein Standortwechsel ist für mich wahrscheinlich, wenn ich weiter finanziell zurechtkommen will.

„Über Nacht wurden zwei Drittel meines Jahresumsatzes gelöscht“

Andreas Herzau, freiberuflicher Fotograf, Hamburg

Im März war ich gerade mit einem Stipendium für ein Foto-Projekt in Liberia unterwegs. Ich musste es abbrechen und zwei Wochen früher als geplant nach Deutschland zurückfliegen. Hier war die Pandemie in vollem Gange und sämtliche Aufträge, die ich für die Zeit nach meinem Afrika-Aufenthalt hatte, wurden storniert. Ich bin unter anderem der Fotograf der Bamberger Symphoniker, die weltweite Tourneen machen, auf denen ich sie begleite. All diese Tourneen wurden abgesagt, genauso wie alle Möglichkeiten, in Deutschland zu spielen. Allein das war ein enormer Ausfall an Aufträgen. Aber auch andere große Aufträge wurden storniert. Im Herbst wäre ich eigentlich ein paar Wochen in Lateinamerika unterwegs gewesen. Zudem hatte ich verschiedene Aufträge von der SPD. Überall wurde der Stecker gezogen. So wurden über Nacht zwei Drittel meines Jahresumsatzes gelöscht.

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Auf einmal selbst im Fokus – Fotograf Andreas Herzau bei der ArbeitFoto: Jörg Gläscher

Dass mal Aufträge wegbrechen, ist nicht ungewöhnlich in meinem Job. Aber dass mit einem Mal alles abgesagt wird, war schon krass. Zu dem Zeitpunkt habe ich mir aber noch nicht wirklich Sorgen gemacht, weil ich noch nicht wusste, wohin die Reise geht. Es hat sich ja erst im Laufe des Sommers herausgestellt, dass die Auftragslage insgesamt sehr niedrig bleibt. Die Existenzsorgen stellen sich also eigentlich erst jetzt ein. Viele Dinge gehen nicht mehr, wenn man als Fotograf in der Öffentlichkeit fotografiert, auf Veranstaltungen oder Konzerten. Insgesamt ist die Situation für Fotojournalist*innen auch dahingehend schwierig geworden, dass durch die Pandemie die Anzeigenkunden bei den Magazinen weggebrochen sind. Verlage haben erhebliche Schwierigkeiten, die Zeitungen werden dünner und dementsprechend gibt es weniger fotografische Aufträge. Ich denke, dass sich insgesamt – auch nach der Pandemie – in diesem ganzen Metier sehr Vieles ändern wird. Die Verlage müssen sparen, das höre ich von allen Seiten. Und mit dieser Pandemie werden bestimmte Verschlankungs- und Veränderungsprozesse in der Medienbranche – wie in anderen Branchen auch – extrem beschleunigt.

Ich habe am Anfang der Krise das Soforthilfeprogramm der Stadt Hamburg in Anspruch genommen und habe auch Geld bekommen, weil meine Umsätze im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 60 Prozent eingebrochen sind. Aber die Reise ist ja noch nicht zu Ende. Ich habe gut gewirtschaftet, ich kann auch Notzeiten überbrücken, aber das ist natürlich endlich. Und es gibt auch keinen Anlass, der mich glauben lässt, dass demnächst alles wieder losgeht. Es gibt so viele Solo-Selbstständige und Künstler. Warum werden diese Leute nicht mit einem fixen monatlichen Betrag für diese schwere Zeit unbüro-kratisch versorgt? Bei der Neustarthilfe 2 gibt es ja quasi dieses "Superangebot", dass wir in Hartz IV gehen können. Das ist derart unangenehm für einen. Letztlich ist ja unsere Situation, dass wir arbeiten wollen, aber nicht können. Wir wollen keine Almosen haben.

Plan B

Die Frage ist, was ist Plan B? Wenn nicht wieder genug Aufträge kommen, wie kann man das weiterhin kompensieren? Ich bin seit 30 Jahren Freiberufler und gewohnt, mir ab und zu mal Sorgen zu machen und mich neu erfinden zu müssen, um ein wirtschaftliches Auskommen zu haben. Für das nächste Jahr werde ich erstmal versuchen, mehr Workshops anzubieten. Ich unterrichte ja auch Fotografie. Das ist ein Baustein, um die Ausfälle zu kompensieren. Ein anderer Baustein sind Archivverkäufe. Zudem bemühe ich mich um Stipendien, um meine freien Foto-Projekte weiterzuführen. Und hin und wieder gibt es ja auch noch Aufträge.

O-Ton-Protokolle: Fanny Schmolke