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Trotz mittlerweile 13 Monaten totaler Existenznot kann Percussionist Yogi Jokusch noch lachenFoto: ver.di Hamburg

ver.di publik – Yogi, du arbeitest seit Jahrzehnten als Berufsmusiker. Wie ergeht es dir in der Pandemie?

Yogi Jokusch – Ähnlich wie so vielen meiner Kolleg*innen in der Kulturbranche. Ab März 2020 sind fast alle Aufträge weggebrochen. Wohl keine Branche hatte einen so langen Lockdown wie wir. Die Coronahilfen reichen nicht. Der Weg ins Arbeitslosengeld ist für viele keine Option. Wer zum Beispiel Kredite abzahlen muss wie ich und noch irgendwie versucht, was dazuzuverdienen, passt nicht in die Bürokratie rund ums Arbeitslosengeld.

Ich selbst komme einigermaßen durch, obwohl ich keine Bundeshilfen bekommen habe – aber nur, weil ich alle noch so geringen Möglichkeiten zur musikalischen Arbeit nutze wie Online-Unterricht, schlecht bezahlte Open-Air-Auftritte vor Pflegeeinrichtungen und Onlinestreams gegen Spenden. Das wäre aber mit einem verschärften Infektionsschutzgesetz so nicht mehr möglich. Letztlich schaue ich – trotz meiner Schlupflöcher – auf mehr als 13 Monate totaler Existenznot zurück, und die Perspektive ist ungewiss. Und zu sehen, wie die kulturelle Infrastruktur zusammenbricht, ist hart: Music-Clubs, Plattenläden, Fachgeschäfte, Kneipen mit Auftrittsmöglichkeit mussten schließen. Ob sie zurückkommen, ist unklar.

ver.di publikDu bist allerdings nicht in Starre verfallen, sondern sehr schnell aktiv geworden…

Yogi Jokusch – In der ersten Welle habe ich mich sofort an unseren Fachbereich gewandt, weil mir klar war, dass wir als Gewerkschaft schnell etwas machen müssen. Unter dem Dach von ver.di kann sich eine starke, auch politisch relevante Interessenvertretung der Musiker*innen bilden, aber das geht eben nur über mehr Mitglieder. Für freie Kulturschaffende ist Gewerkschaft allerdings nach wie vor ein fremdes Terrain. Da ist immens viel Überzeugungsarbeit nötig.

ver.di publikDu hast dann im Rahmen eines Projektes bundesweit in der Branche für ver.di geworben. Wie hast du das gemacht?

Yogi Jokusch – Vor allem über Facebook, Instagram und Twitter, tausende Messenger-Nachrichten und mit unendlich vielen Mails und Telefonaten. Außerdem habe ich eine Reihe von Interviews gegeben, im NDR-Radio, in der Fachzeitung 'Drums and Percussion´, im Podcast 'Schlagabtausch', im Onlinemagazin 'Bonedo' und auch bei den Tagesthemen. Bei den Tagesthemen hat mich allerdings gestört, dass sie Gewerkschaftliches ignoriert und nur die profansten Sätze rausgepickt haben. Es gab auch eine Reihe von politischen Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten und Aktionen vor der Hamburger Finanzbehörde.

ver.di publikDu hast Dich als Gewerkschafter öffentlich gezeigt. Wie waren die Reaktionen darauf?

Yogi Jokusch – Immerhin sind 75 Kolleg*innen bei ver.di eingetreten. Ich musste mich aber auch massiven Beschimpfungen aussetzen. Ich sei so missionarisch, war da fast schmeichelhaft. Der Ton bei Facebook ist mitunter sehr grob. Die Leute verlieren immer mehr die Nerven. Vielleicht bildet sich hier die emotionale Erschöpfung in der Pandemie ab.

ver.di publikWelche Argumente ziehen denn bei Deinen Musiker-Kolleg*innen?

Yogi Jokusch – Für alle ist wichtig zu wissen, dass ver.di konkrete Beratung anbietet – zu arbeitsrechtlichen Fragen, aber eben auch zu Coronahilfen usw.. Viele wussten bislang nicht, dass ver.di auch für Freie da ist – und das, obwohl ver.di seit Jahren in dem Bereich sehr aktiv ist. Und dass ver.di sehr viel bewegt, sei es bei der Künstlersozialkasse, im Urheberrecht oder in der Kulturpolitik, und jedes Mitglied die Gewerkschaft darin stärker machen kann, ist für manche ausschlaggebend. Gut kommen auch die Online-Treffen für organisierte Musiker*innen an.

ver.di publikWas würde Euch Musiker*innen durch die Krise helfen?

Yogi Jokusch – Neben der Organisation? Na ja, wenn ich mir was wünschen dürfte, wären das vor allem ein Lastenausgleich für Freie, zum Beispiel Gebührenerlasse oder die Stundung von Krediten und Steuerschulden. Der Zuver- dienst im ALG II-Bezug muss leichter sein. Die Bundesregierung schweigt zu sehr in Sachen Kultur. Viele meiner Kolleg*innen sind gezwungen, ihr Geld anders zu verdienen, als Packer bei IKEA oder als Apple-Berater. Ich hoffe, dass alle wieder den Weg zurückfinden können in den Beruf und dass die Kulturbranche in ihrer Vielfalt überleben kann.

Interview: Tina Fritsche

Ideen und Aktionen

ver.di hat bundesweit das "Jahr der Kunst- und Kulturschaffenden' ausgerufen. Mitglieder, für die Kunst und Kultur auch Erwerbsarbeit ist, können sich mit Ideen und Aktionen beteiligen. Yogi Jokusch ist einer der Ansprechpartner. Mehr Infos:

Yogi Jokusch

hat als professioneller Percussionist an rund 250 Studio-Produktionen mitgewirkt und war 16 Jahre lang Orchester-Percussionist bei Musicalproduktionen der Stage Entertainment. Daneben arbeitet der 54-Jährige europaweit als Percussion und Rhythmik Coach. Der aktive Gewerkschafter engagierte sich zu Stage-Zeiten als Vorsitzender im Betriebsrat und in der Tarifkommission.