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Beschäftigte im Homeoffice können von der Arbeit abschalten, wenn ...Quelle: Lott, Ahlers, 2021Hans-Böckler-Stiftung

Arbeit gehört zum Leben. Aber sie muss gestaltet werden, um Beschäftigte etwa vor ausufernden Arbeitszeiten zu schützen. Schon vor mehr als hundert Jahren haben die Gewerkschaften den Acht-Stunden-Arbeitstag erkämpft – und in den folgenden Jahrzehnten viele weitere Regeln zur Arbeitszeit. Die gilt es zu verteidigen, besonders angesichts der Forderungen aus vielen Unternehmen nach immer mehr Flexibilisierung. Der ver.di-Bundesvorstand hat im September "Leitlinien für Gute Arbeitszeitgestaltung" beschlossen und sie jetzt in einer Broschüre veröffentlicht.

Für Mitarbeiter*innen sind drei Aspekte wichtig, zeigen Befragungen: Verlässlichkeit der Arbeitszeiten, Planbarkeit des Urlaubs und genügend Ruhephasen für Erholung, Pflege von Angehörigen, Kinderbetreuung sowie Freizeitbeschäftigungen. In Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen spielen entsprechende Regelungen eine große Rolle. So konnte ver.di mit dem IT-Dienstleister Fiducia 2019 bezahlte Freistellungen für Familien- und Pflegeaufgaben der Beschäftigten aushandeln. Eine besondere Bedeutung haben Tarifverträge mit Klinikbetreibern zur Entlastung der Pflege- und Funktionsdienste. So ist für viele Universitätsklinika wie unter anderem in Homburg, der Berliner Charité, in Heidelberg und Jena festgelegt worden, wie viele zusätzliche Stellen geschaffen werden müssen und welche Mindestpersonalstärken auf Stationen bzw. in den Abteilungen gelten. Geregelt ist dort auch, was passiert, wenn diese Ziele nicht erreicht werden. Dann erhalten Beschäftigte Entlastungspunkte, die in zusätzliche Freizeit umgerechnet werden. Betten können dann teilweise nicht belegt werden, weil nicht genügend Pflegepersonal da ist.

Zeitdruck hausgemacht

Beschäftigte verlassen inzwischen zuhauf Krankenhäuser wegen der enormen Arbeitsüberlastung als Folge des Personalmangels. Die Flucht aus dem Beruf hat vor der Corona-Pandemie begonnen, sich aber seitdem kräftig verstärkt. "Wer nicht aufhört, reduziert zumindest die Zahl der Arbeitsstunden", sagt ein Krankenpfleger des landeseigenen Berliner Krankenhauskonzerns Vivantes. "Das bedeutet dann Mehrbelastung für die, die Dienst haben. Außerdem fehlen Reserven für Kolleg*innen, die krank oder im Urlaub sind." Auch Vivantes hat unter dem Druck eines wochenlangen Streiks der Pflegekräfte in diesem Herbst einen Entlastungstarifvertrag mit ver.di ausgehandelt (s. Meldung Spalte links). Bis aber wieder mehr Beschäftigte in der Pflege anfangen oder zurückkehren, dürfte noch einige Zeit vergehen.

Mit Personalmangel aus anderen Gründen haben es die Beschäftigten bei der Bekleidungskette H&M zu tun: Hier wurden zwischen 2017 und Ende August dieses Jahres mehr als 5.000 Stellen abgebaut. "Dieses Jahr alleine 600 im Rahmen eines Personalabbauprogramms, das auf Beschäftigte mit festen Arbeitszeiten ausgerichtet war", erklärt der für H&M zuständige ver.di-Gewerkschaftssekretär Damiano Quinto. Ein Drittel des Personalabbaus ging auf Filialschließungen zurück: 60 Geschäfte mit mehr als 1.600 Kolleg*innen sind seit 2017 geschlossen worden. ver.di und der Gesamtbetriebsrat bei H&M fordern einen Digitalisierungstarifvertrag, unter anderem für eine nachhaltige Beschäftigungssicherung. Das Unternehmen setzt dagegen auf weniger Mitarbeiter*innen in den Filialen und mehr Flexibilisierung. Damiano Quinto: "An die Stelle fester Arbeitszeiten und fester Schichten sollen Arbeitszeitmodelle treten, die ,sich den verändernden Kundenwünschen' anpassen, wie es die Geschäftsleitung formuliert." Das habe erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigten, die so Arbeit und Privatleben kaum unter einen Hut bringen könnten.

H&M begründet den Umbau mit der Digitalisierung und der Ausweitung des Online-Handels, verweigert aber Tarifverhandlungen mit ver.di zu diesen Themen. Zudem plant das Unternehmen, Personalengpässe mit Student*innen auszufüllen, die bei einer Leiharbeitsfirma angestellt werden. ver.di fordert dagegen Regeln für den Einsatz von Leiharbeit, bei Filialschließungen eine interne Stellenvermittlung, Qualifizierungsangebote, Schutz vor gesundheitsgefährdender Überlastung.

Neben Tarifverträgen schützen auch Gesetze vor ausufernder Arbeitszeit. Die Gewerkschaften reagierten alarmiert, als es in den Koalitionsverhandlungen um die Änderung des Arbeitszeitgesetzes ging. Die FDP brachte die Aushöhlung von Höchstarbeits- und Mindestruhezeit ins Gespräch. "Das Arbeitszeitgesetz ermöglicht ein hohes Maß an Flexibilität und Souveränität", sagt Astrid Schmidt vom ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit, die die ver.di-Broschüre zu den Arbeitszeit-Leitlinien miterarbeitet hat. "Das ist auch wichtig, denn zu guter Arbeit gehört Selbstbestimmung."

Ähnlich formulieren es im Vorwort der Broschüre die stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende Andrea Kocsis und Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz. Kürzere Arbeitszeiten, lange Wochenenden und Urlaub allein reichten nicht, um zeitliches Wohlbefinden zu schaffen. Nötig seien "weitere Rahmenbedingungen, die gute Arbeit ausmachen, Leistungsdruck mindern und in der neuen Arbeitswelt mehr selbstbestimmtes Arbeiten und Mitgestalten ermöglichen."

Die Broschüre mit den Leitlinien gibt es hier: innovation-gute-arbeit.verdi.de