Ausgabe 08/2021
Die Pandemie verschärft die Armut
Die Folgen der Corona-Pandemie treffen Ärmere stärker als Reiche. Ein Lockdown ist beispielsweise für Menschen mit Haus und Garten weniger hart als für eine Familie mit kleiner Mietwohnung ohne Balkon, mit Kindern im Home-Schooling und Eltern im Home-Office. Zudem leiden bestimmte Berufsgruppen mehr als andere. Verkäufer*innen von Straßenzeitungen, wie beispielsweise der BISS in München, sind besonders schwer betroffen, denn in leeren Einkaufsstraßen gibt es keine Passanten und somit kein Geld für die Zeitungsverkäufer*innen. Andere Menschen haben dagegen in der Pandemie sogar mehr Gewinn gemacht. Corona treibt Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinander.
Das hört auch Inge Brümmer von der Münchner Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle täglich. Seit sieben Jahren leitet sie die gemeinsame Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Hohe Verschuldung habe es zwar schon immer gegeben, aber die Situation sei durch die Pandemie noch verschärft worden. "Die Anfragen haben sich in den ersten Monaten im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2020 von ungefähr 35 auf 62 im Monat erhöht, eine Steigerung um zirka 80 Prozent." Schon vor der Pandemie waren sieben Millionen Bürger überschuldet. Nun sind es deutlich mehr.
Seit 30 Jahren gibt es die Schuldnerberatung von AWO und DGB, die von der Stadt München und dem Freistaat finanziert wird. "Unsere Beratung und Hilfe ist für die Betroffenen sehr wichtig. Denn alleine finden viele nicht mehr aus ihrer Notlage", sagt Inge Brümmer. Für sie und die anderen im Beratungsteam ist die Hilfe für Menschen in finanzieller Not eine Herzensangelegenheit: "Menschen mit Schulden dürfen nicht abgestempelt werden. Wir helfen, in der Krise nach Lösungen zu suchen."
Wie es gut läuft
Die Beratungskräfte nehmen Kontakt zu Banken und Gläubigern auf und machen einen Entschuldungsplan bis hin zu einer Privatinsolvenz. Wenn alles gut läuft, sei nach drei Jahren harter Entschuldung der Weg in eine unbelastete Zukunft frei. "In die schwierige Situation kann jeder kommen", widerspricht Inge Brümmer dem Vorurteil, die Leute seien immer selbst schuld an ihrer Misere. "Die Ursachen für Verschuldung sind vielfältig: Krankheit, Arbeitslosigkeit oder auch Scheidung. Die Menschen, die zu uns kommen, sind ein Querschnitt der Bevölkerung: Angestellte, Rentner, Selbstständige, Jüngere und Ältere."
Bei jüngeren Menschen kann bereits der Kauf eines Smartphones zur Schuldenfalle werden, wenn zweijährige Vertragslaufzeiten damit gekoppelt sind. Die Konsumverlockungen seien oft zu groß und Ratenkäufe und scheinbar günstige Kredite sehr verlockend. Sie begünstigen die instabile Haushaltsführung. Für junge Münchnerinnen und Münchner bis 25 Jahre gibt es extra eine Jugendschuldnerberatung. Sie ist anonym und kostenfrei.
Auch immer mehr alte Menschen sind auf die Hilfe der Beratungsstellen angewiesen. Laut Schuldneratlas 2020 hat die Zahl der überschuldeten Senioren um 23 Prozent zugenommen. Viele müssen trotz Ruhestands arbeiten: Die Anzahl geringfügig Beschäftigter über 60 Jahren ist seit 2003 um 74 Prozent angestiegen. In Bayern beziehen knapp über 126.000 Menschen Grundsicherung im Alter, 2006 waren es 52 Prozent weniger.
"Das ist eine traurige Bilanz für einen reichen Staat, wenn Menschen im Alter sich sogar ein einfaches Leben nicht leisten können", meint Inge Brümmer, "deshalb engagieren sich die AWO und der DGB, damit Menschen mit Schulden nicht allein gelassen werden." Auch die beste Beratung könne eine gute Tarif- und Sozialpolitik, für die sich die Gewerkschaften einsetzen, nicht ersetzen. Bei den Ursachen müsse die Politik ansetzen, damit Schuldenfallen erst gar nicht entstehen. Die Gewerkschaften unterstützen deshalb nicht nur die Schuldnerberatung. Sie setzen sich besonders dafür ein, dass Arbeitnehmer*innen und Rentner*innen über höhere Einkünfte verfügen können und nicht nur geringfügig beschäftigt sind. Ernst Edhofer
Wie, wo und wann?
Die Beratung erfolgt nur nach telefonischer Anmeldung
Neumarkter Str. 22, 81673 München, Tel. 089/51 55 64 50
E-Mail: schuldnerberatung@awo-muenchen.de
Telefonische Beratungszeiten: Dienstag 11 bis 12 Uhr; Donnerstag 9 bis 10 Uhr; Freitag 10 bis 11 Uhr