Ausgabe 08/2021
Mit vielen kommt viel rum
Beschäftigte, für die ein Tarifvertrag gilt, haben generell bessere Bedingungen als ohne Tarifvertrag. Sind seit 2000 die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer*in in Deutschland lediglich um 47 Prozent gestiegen sind, so wuchsen die Tariflöhne um 60 Prozent. Zudem werden in Tarifverträgen auch andere vorteilhafte Regelungen getroffen, wie etwa Urlaub, Kündigungsschutz, betriebliche Altersversorgung, Corona-Prämien oder wie zuletzt die Aufstockung des gesetzlichen Kurzarbeitergeldes auf 90 oder gar 100 Prozent des Nettolohns während des Lockdowns.
Doch das alles fällt nicht vom Himmel. Es sind die Mitglieder der Gewerkschaft, die die tarifvertraglichen Erfolge, teilweise mit Streik, möglich machen. Und im Prinzip gelten sie auch nur für sie. Doch die Arbeitgeber gewähren in der Praxis allen Beschäftigten die Regelungen des Tarifvertrags. Das schmälert für viele Menschen den Anreiz, Gewerkschaftsmitglied zu werden, denn sie profitieren davon, ohne etwas dafür tun zu müssen. "Doch wenn alle Beschäftigten den bequemen Weg des Trittbrettfahrens wählen würden, dann gäbe es keine Tarifverträge mehr, und die Situation auf dem Arbeitsmarkt wäre für alle deutlich schlechter", sagt Norbert Reuter, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei ver.di. Zudem können mehr Mitglieder auch noch bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen.
Stellvertretend seien hier ein paar Abschlüsse aus 2021 aufgeführt, die zeigen, dass große und kleine Erfolge möglich sind, auch wenn sich die Arbeitgeber anfangs sperren.
Wie Azubis profitieren
Private Energiewirtschaft: Auch Auszubildende sollten die Auseinandersetzungen um gute Tarifverträge nicht nur den alten Hasen überlasen, denn auch sie profitieren deutlich. Für die Auszubildenden und für dual Studierende beim E.ON-Konzern können sich die Abschlüsse sehen lassen. Unter anderem gehört dazu die Ausstattung mit Mobiltelefonen und Laptop. Homeschooling ist während der Ausbildung tarifvertraglich geregelt: Für ausbildungsbezogene oder studienbezogene Fortbildungen gibt es mindestens zwei Tage pro Ausbildungsjahr. Die Mitgliedschaft in ver.di lohnt sich aber mindestens gleich doppelt, denn nur Gewerkschaftsmitglieder bekommen zusätzlich zwei volle bezahlte Tage für die Fort- und Weiterbildung. Also nichts mit Trittbrettfahren. Und noch eine gute Nachricht aus dem Energiebereich: Bei PreussenElektra wurde der Haustarifvertrag verbessert, vor allem aber wurde erreicht, dass exklusiv ver.di-Mitglieder, und wieder nur die, einmalig 550 Euro mehr bekommen, Auszubildende 175 Euro. Das hat sich doch gelohnt.
Pflegen & Wohnen Hamburg: Hier erreichten die Beschäftigten des größten privaten Anbieters von stationärer Pflege in Hamburg ebenfalls einen Abschluss, der sich sehen lassen kann mit Gehaltssteigerungen von 7,6 Prozent in zwei Jahren. Doch es ging nicht nur ums Geld: In Schicht- und Nachtdiensten Beschäftigte erhalten künftig bis zu zwölf Tage Zusatzurlaub. Das ist eine deutliche Entlastung für die Beschäftigten zusätzlich zu den 30 Tagen Erholungsurlaub, die ihnen zustehen. Gerade die Entlastungstage für Schichtdienste sind in der Pflege wichtig, denn während die Corona-Pandemie den Bedarf an Pflegekräften befeuert hat, fehlt in vielen Kliniken und Pflegeheimen Personal für die Pflege, sind die Beschäftigten deshalb überlastet. In Hamburg und auch andernorts setzen die Lohnerhöhungen und guten Tarifabschlüsse nun auch andere Heimbetreiber unter Druck, denn die müssen nachlegen, wollen sie ihr Personal langfristig halten.
Service-Tochter im Städtischen Krankenhaus Kiel: Für die Beschäftigten hat ver.di erreicht, dass sie bis zum 1. Januar 2024 den hundertprozentigen Anschluss zum Tarifvertrag im öffentlichen Dienst bekommen.