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Mehr Zeit soll für Zuwendung bleibenFoto: picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Applaus auch für die Pflegenden klang zu Beginn der Corona-Pandemie allabendlich von den Balkonen. Doch schnell wurde klar: Applaus allein reicht nicht. Die Corona-Pandemie machte erneut deutlich, was sich bereits seit vielen Jahren schon abzeichnet und auch von Beschäftigten und ver.di immer wieder bemängelt wurde: Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind nicht ausreichend, die Bezahlung ist nicht angemessen für solch wichtige und fordernde Aufgaben. Die Folge ist ein Mangel an Fachkräften in der Pflege, gleich ob von Alten oder Kranken.

"Die Beschäftigten erleben ihre Situation als eine Reihe von Versprechungen, die bisher nur bruchstückhaft oder gar nicht umgesetzt worden sind", sagte die Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen, Elke Heyduck. Bei einer Pressekonferenz stellte sie Anfang Mai die Studie "Ich pflege wieder, wenn…" vor, die in Kooperation mit der Arbeitskammer im Saarland, dem Institut Arbeit und Technik und der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen entstanden ist. Gefördert wurde das Projekt von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Tatsächlicher Bedarf

Befragt wurden Pflegekräfte, die entweder aus dem Beruf ausgestiegen sind oder die Teilzeit arbeiten. Das Ergebnis: Selbst nach vorsichtiger Interpretation der Antworten stünden rund 300.000 Vollzeit-Pflegekräfte zur Verfügung, in einem optimistischen Szenario wären es sogar bis zu 660.000. Überwiegend wären es ausgestiegene Pflegekräfte, die sich eine Rückkehr in ihren alten Beruf vorstellen könnten – wenn die Bedingungen stimmen.

Dazu zählt eine Personaldecke, die sich am tatsächlichen Bedarf der pflegebedürftigen Menschen ausrichtet. Die Rückkehrwilligen wünschen sich mehr Zeit auch für Zuwendung und wollen nicht auf unterbesetzten Stationen von einem Bett zum nächsten hetzen müssen. Hinzu kommen die Wünsche nach besserer Bezahlung, verbindlichen Dienstplänen, respektvollen Vorgesetzten und einem kollegialen Umgang mit allen Berufsgruppen. Durchschnittlich mit 30 Wochenstunden können sich die Ausgestiegenen eine Rückkehr vorstellen, bei den Teilzeitbeschäftigten liegt der Wunsch nach Aufstockung bei etwa zehn Stunden pro Woche.

Ein Patentrezept für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen konnten die Autor*innen der Studie nicht nennen. Aber an erster Stelle ihrer Forderungen nannten sie eine angemessene Personalbemessung. Dafür liege mit der Pflegepersonalregelung (PPR) 2.0 ein geeignetes Instrument vor; es wurde von ver.di, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelt und bereits 2020 vorgestellt. Im Koalitionsvertrag wurde dessen kurzfristige Einführung bereits vereinbart, sie lässt aber bislang auf sich warten.

ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler sieht durch die Studie ihre Position bestätigt, dass der der Teufelskreis aus schlechter Personalausstattung und fehlenden Fachkräften unverzüglich mit bedarfsgerechten Personalvorgaben und besseren Arbeitsbedingungen in der Pflege durchbrochen werden müsse. "Es gibt keinen Mangel an qualifizierten Pflegepersonen, sondern einen Mangel an Beschäftigten, die unter den derzeitigen Bedingungen bereit sind, in der Pflege zu arbeiten", sagte sie. Das Potenzial zur Wiedergewinnung von Pflegekräften müsse endlich gehoben werden.

Tarifbindung stärken

Dazu zählt für Beatrice Zeiger, Geschäftsführerin der Arbeitskammer des Saarlands, auch eine Bezahlung, die den hohen Anforderungen des Berufs angemessen ist – insbesondere in der Altenpflege. Hier liegen sie oft noch deutlich unter denen in der Krankenpflege. Ein Mittel, um das zu erreichen, sei eine verbesserte Tarifbindung. Aber auch zu Qualifizierung müssten die Beschäftigten in der Pflege einfachere Zugänge bekommen.

Für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege führt für Elke Heyduck kein Weg an einer Pflegevollversicherung vorbei. Zudem müsse sie zumindest mittelfristig auch zu einer Bürgerversicherung werden, in die auch Beamt*innen und Selbstständige einzahlen. Es könne nicht sein, dass bei Verbesserungen in der Altenpflege der Eigenanteile der Pflegebedürftigen "durch die Decke gehe". Angesichts der finanziellen Löcher in den Kassen der gesetzlichen Krankenkassen seien ausreichende Steuerzuschüsse notwendig, so die Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen.

"Es ist also möglich, den Teufelskreis, dass immer weniger Pflegekräfte zu noch weniger Pflegekräften führen, zu durchbrechen", ist das Fazit von Claudia Bogedan, Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung. Sylvia Bühler sieht in den Ergebnissen der Studie einen klaren Auftrag, an Politik und Arbeitgeber*innen, die Arbeitsbedingungen in der Pflege grundlegend und dauerhaft zu verbessern. "Der heute schon große und noch weiter wachsende Fachkräftebedarf muss gedeckt werden, um eine gute Pflege in einer älter werdenden Gesellschaft zu gewährleisten", so die Gewerkschafterin. Plänen, kürzer ausgebildetes Personal schlicht zu Fachkräften zu erklären, erteilte sie eine klare Absage.

ich-pflege-wieder-wenn.de